Vierte Amtszeit der Kanzlerin? Merkel hält sich für unverzichtbar

Berlin · Die Bundeskanzlerin steuert auf ihre vierte Amtszeit zu. Was soll von den Regierungsjahren der CDU-Politiker in die Geschichtsbücher eingehen? Es könnte die neue Verantwortung Deutschlands in der Welt werden.

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Das ist Angela Merkel

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Foto: dpa, Patrick Seeger

Als Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in diesem Sommer mit US-Präsident Barack Obama im beschaulichen Krün in Bayern vor Alpenkulisse Weißwurst aß und anschließend die anderen Staats- und Regierungschefs der G 7 auf Schloss Elmau empfing, da sah Regieren aus, als würde es Genuss bereiten. Diese Momente der Leichtigkeit aber sind selten. In nicht-öffentlicher Runde soll Merkel sogar einmal geäußert haben, dass im Kanzleramt "jeder überstandene Tag eine Leistung" sei.

Was also treibt diese Frau, die alles erreicht hat, ihre Leistungsschau auch nach 2017 fortsetzen zu wollen? Warum will sie sich weiterhin jeden Tag den engen Terminkalender wie ein Korsett umschnallen lassen, den die Krisen in der Welt, das schwankende Europa und der Zank in der großen Koalition bestimmen? Ausgerechnet Merkel, der Freunde wie Feinde zutrauten, dass man sie nicht aus dem Amt jagen muss, weil sie in Würde eines Tages freiwillig scheiden wird, steuert nun wie einst Helmut Kohl auf eine vierte Amtszeit zu. Der Kanzler der Einheit brauchte übrigens nur ein Wort, um zu beschreiben, was Merkel treibt: Macht.

Immer wieder wurde sie kritisiert, dass sie zwar Macht zu erhalten versteht, diese aber mit keiner Mission, geschweige denn einer Vision, verbinde. Der Kurzsatz-Akrobat Franz Müntefering, einer von sechs SPD-Parteichefs, mit denen Merkel in ihrer Zeit als CDU-Chefin schon zu tun hatte, formulierte das einmal so: "Man kann sich zu ihr ins Flugzeug setzen, wenn sie Pilotin ist. Man wird sicher ankommen. Man weiß nur nicht, wo."

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Angela Merkel – herausragende Momente einer Kanzlerin

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Foto: dpa/Peter Kneffel

So ist sie als "Physikerin der Macht", als "Phantom im Kanzleramt" und als "Entfesselungskünstlerin in bedrängter Lage" beschrieben worden. Diese Charakterisierungen zielen alle darauf ab, dass sie nicht der Typ ist, der heute für die Geschichtsbücher von morgen Politik macht. Man kann ihr aber auch nicht vorwerfen, dass unter ihrer Führung nichts historisch Bedeutendes geschehe. Als sie die CDU übernahm, war ihre Partei gegen einen Ausstieg aus der Atomkraft, gegen eine Freiwilligenarmee, gegen den Mindestlohn, gegen Krippen und eine Frauenquote, gegen ein Einwanderungsland. All das hat sich geändert, und das ist Merkels Erbe.

Der Vorteil ihrer Zickzack-Politik ist es, dass sie die CDU in einer Zeit der zerfallenden politischen Milieus als Volkspartei erhalten konnte. Merkel ist eine liberale Schwarz-Rot-Grüne, was diejenigen, die sich eigentlich für ihre politischen Gegner halten, immer wieder in Identitätskrisen treibt. Ihre eigene Partei hadert auch mit diesem Politikstil, drängt sie aber zugleich, 2017 wieder anzutreten. Merkel ist also auch eine Getriebene ihres eigenen Erfolgs. Wem die Umfrage-Institute sogar zutrauen, für die eigene Partei die absolute Mehrheit zu holen, der kann nicht einfach aufhören. Wer zehn Jahre das Kanzleramt führt und zu den am längsten amtierenden demokratisch gewählten Regierungschefs der Welt gehört, dessen Selbstbild verändert sich. Auch eine Persönlichkeit, zu deren Grundeigenschaften Bescheidenheit und Bodenständigkeit gehören, kommt über die Jahre zu dem Ergebnis: Ohne mich geht es nicht.

Man wird Merkel nicht gerecht, wenn man ihr Amtsverständnis auf ihre pragmatische Haltung zu Fragen der Tagespolitik reduziert. Der Klimaschutz und das Streben nach solider Haushaltspolitik sind Konstanten in ihrem politischen Leben. Sie denkt auch über die Zukunft nach. Dies geschieht bei ihr aber in Dialogform. Andere geben den Input, sie moderiert, wie auch bei ihrem Bürgerdialog "Gut leben in Deutschland".

Angela Merkel Adé: Asylbewerberin benennt ihre Tochter nach der Kanzlerin
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Asylbewerberin nennt ihre Tochter mit Vornamen Angela Merkel

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Foto: dpa, jst axs

Wie ein roter Faden zieht sich das Thema Freiheit durch ihre Arbeit. Ihr besonderes Engagement in der Ukraine-Krise ist aus dem Entsetzen gespeist, dass Russland mit der Annexion der Krim die Friedensordnung und die Freiheit in Europa bedroht, die sich nach dem Fall der Mauer entwickelt haben. In mehreren Kraftakten rang Merkel dem russischen Präsidenten Wladimir Putin das Minsker Waffenstillstandsabkommen ab. Dabei wandte sie eine Technik an, die dem Judoka Putin geläufig sein müsste: Siegen durch Nachgeben — das ist das Grundprinzip der Techniken beim Judo.

Jeder Kanzler der Bundesrepublik hat Spuren hinterlassen. Beispiele: Bei Konrad Adenauer war es die Westintegration, bei Willy Brandt die Ostverträge, bei Helmut Kohl die Einheit Deutschlands und Europas, bei Gerhard Schröder die Sozialreformen. Bei Merkel könnte es die neue Verantwortung Deutschlands in der Welt sein. Diese neue Rolle der Deutschen steckt aber noch in den Kinderschuhen. Es ist fraglich, ob Merkel von den Historikern mit diesem gewandelten Selbstverständnis identifiziert werden wird, das der Bundespräsident, der Außenminister und die Verteidigungsministerin für sie formuliert haben. Dies hängt maßgeblich davon ab, ob in ihrer Amtszeit Europa zusammenhält und ob eine Eskalation in der Ukraine verhindert werden kann. Die schlimmen Krisen, die ihre Amtszeit prägen, werden in zwei Jahren nicht vorüber sein. Auch sie sind Motivation, weiterzumachen. Dass sie Krisen managen kann, gestehen ihr auch ihre Kritiker zu.

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Foto: Screenshot / instagram.com/bundeskanzlerin

Für Europa hat Merkel ihre Messlatte ungewohnt klar selbst mehrfach beschrieben: "Scheitert der Euro, scheitert Europa." In der kommenden Woche wird die 61-Jährige voraussichtlich ihre Hausmacht in der Union in die Waagschale werfen müssen, um erneut ein Rettungspaket durch den Bundestag zu bringen. Für die Union ist die Zustimmung zu weiteren Hilfskrediten nach fünf Jahren erfolgloser Rettungspolitik ähnlich schwierig wie seinerzeit die Zustimmung der SPD zu Schröders Sozialreformen. Der Tag der Abstimmung wird für Merkel sicherlich einer von jenen, über die sie sagen kann, dass es eine Leistung ist, ihn überstanden zu haben.

(qua)
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