Freizügigkeit in der Europäischen Union Bulgaren sorgen in Dortmund für Unmut

Tausende Bulgaren leben inzwischen in der Dortmunder Nordstadt. In dem Viertel herrschen Kriminalität, Gewalt und Armut. Die Dortmunder Polizei musste bulgarische Kollegen um Amtshilfe bitten. Ein Ortbesuch.

 In Ruhrgebietstädten wie Dortmund und Duisburg hat sich ein sogenannter Arbeiterstrich gebildet.

In Ruhrgebietstädten wie Dortmund und Duisburg hat sich ein sogenannter Arbeiterstrich gebildet.

Foto: Andreas Probst

Vor dem "Café Povlov" am Marktplatz in der Dortmunder Nordstadt ist an diesem Tag nicht so viel los wie sonst. Es ist kurz nach halb neun Uhr morgens. Igor und seine vier bulgarischen Freunde stehen vor dem Café an der Straße und rauchen. "Scheißwetter", flucht Igor. "Es ist kalt, wir haben keine Arbeit." Igor, ein leicht untersetzter Mann von 32 Jahren, ist der einzige aus der Gruppe, der ein wenig Deutsch spricht. Er hofft, dass es bald wärmer wird und auf den Baustellen wieder mehr Arbeiter benötigt werden, doch er befürchtet dann auch mehr Konkurrenz als in den Vorjahren. "Viele Landsleute von mir kommen in den nächsten Wochen rüber. Die wollen alle Arbeit auf dem Bau haben. Nicht gut für mich."

Wohnungen aus der Gründerzeit

Igor gehört zu den mehr als 4000 Bulgaren, die in der Dortmunder Nordstadt, einem strukturschwachen Viertel mit hoher Kriminalitätsrate, in heruntergekommenen Wohnungen aus der Gründerzeit leben. Die Stadt geht davon aus, dass sich ihre Zahl in den kommenden Monaten verdoppeln wird, weil für die Bulgaren zum 1. Januar alle Schranken auf dem deutschen Arbeitsmarkt gefallen sind. Platz genug wäre für sie in der Nordstadt. Es gibt viel Leerstand. Doch um eine Unterkunft zu bekommen, müssen die Zuwanderer zunächst Geld an die Schlepper bezahlen, die sie aus Bulgarien in Transportern über die Autobahn nach Dortmund bringen. Die Fahrt ins Revier soll pro Kopf rund 100 Euro kosten. Für einen Schlafplatz in einer überfüllten Wohnung werden dann noch einmal 200 Euro fällig — pro Monat und für jede Matratze.

Die Fahrt ins Revier kostet 100 Euro

Zudem erwartet die Armutsflüchtlinge eine triste Welt in der Nordstadt. Und sie werden auf Ablehnung stoßen. Selbst die türkischstämmigen Bewohner des Viertels reagieren schon jetzt ungehalten, wenn man sie auf die Südosteuropäer anspricht. Ercan ist besonders wütend. Der 63-Jährige kam Ende der 50er Jahre als Kind mit seinen Eltern aus der Türkei in die Nordstadt. Er führt einen kleinen Gemüseladen am legendären Borsigplatz, wo die Fußballer von Borussia Dortmund ihre Meisterschaften und Pokalsiege feiern. Die Bulgaren lässt er nicht mehr in sein Geschäft. "Die klauen nur", sagt er. Die Obst- und Gemüsekisten, die er draußen vor seinem Laden stehen hat, bewacht sein Neffe Izmir. Früher, meint Ercan, habe man alles stundenlang unbeaufsichtigt lassen können. Aber seit die Bulgaren da seien, gehe das nicht mehr, sagt er. "Kriminelle — gleich welcher Herkunft — sind in der Nordstadt nicht willkommen."

Tatsächlich haben der Polizei zufolge Taschendiebstähle, Einbrüche und Autoaufbrüche stark zugenommen, seit die Bulgaren da sind. Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft in Nordrhein-Westfalen, Erich Rettinghaus, sagt über die Nordstadt: "Für die Polizisten dort ist es schwer, noch Herr der Lage zu werden." Deswegen bittet die Dortmunder Polizei um Amtshilfe aus Bulgarien. Zwei bulgarische Polizisten kommen regelmäßig in die Nordstadt. "Sie helfen uns, die bulgarischen Familienstrukturen zu verstehen", sagt ein Sprecher der Polizei.

Sozialen Spannungen

Die Stadt Dortmund beunruhigen die sozialen Spannungen in der Nordstadt. Fragt man Rechtsdezernentin Diane Jägers nach den Gründen für die Ghettoisierung, führt sie meist die Angst der Zuwanderer vor Behörden, die Arbeitslosigkeit und die Sprache als Hauptursachen an. Es sind nicht die gut Qualifizierten, die mit den Universitätsabschlüssen, die Ärzte, Krankenschwestern und Facharbeiter, die nach Dortmund kommen. Die meisten Bulgaren in der Nordstadt sind Analphabeten. Für jeden der bislang 4000 von ihnen gibt die Stadt jeden Monat im Durchschnitt 250 Euro für Kindergeld und Arztkosten aus, das macht zwölf Millionen Euro im Jahr.

Vom "Café Povlov" zum stadtbekannten "Arbeitsstrich" an der Ecke Schleswiger Straße/Mallinckrodtstraße sind es nur ein paar Meter. Igor und andere Zuwanderer bieten dort jeden Morgen illegal ihre Dienste als Tagelöhner für drei bis fünf Euro die Stunde an. Doch im Winter halten kaum Transporter, die sie auf eine der landesweiten Großbaustellen mitnehmen. "Ich brauche aber das Geld, sonst muss ich klauen gehen", sagt Igor.

(RP)
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