140 Tote in China Was die Uiguren auf die Straße trieb

Düsseldorf (RPO). Die Anzahl der Toten erschreckt: Über 140 Menschen starben am Montag bei gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen des muslimischen Turkvolks der Uiguren und chinesischen Sicherheitskräften in der nordwestchinesischen Region Xinjiang. Die chinesische Staatsführung spricht von aus dem Ausland gesteuerten Aufständen, Exil-Uiguren machen Chinas Führung für die Gewalt verantwortlich. Doch die Wahrheit ist wohl komplizierter.

2009: Blutige Proteste in China
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"Sollte die Zahl der Toten stimmen", so die Chinaexpertin Dr. Gudrun Wacker vom Deutschen Institut für Wissenschaft für Internationale Politik und Sicherheit in Berlin, "dann wäre das die größte ethnische Auseinandersetzung, die es in der ganzen Reformperiode gegeben hat".

Angebliche Vergewaltigung von Han-Chinesinnen

Anlass für die zunächst friedlichen Proteste, die am Montag in einer Eskalation der Gewalt mündeten, war der Tod zweier uigurischer Arbeiter in einer Spielzeugfabrik in Südchina. Angehörige der Volksgruppe der Han-Chinesen, die in China die Mehrheit ausmachen, ermordeten zwei Angehörige der Volksgruppe der Uiguren, nachdem Gerüchte aufgekommen waren, sie hätten zwei Han-Chinesinnen vergewaltigt.

Die laut der Nachrichtenagentur AP rund 1.000 bis 3.000 Demonstranten forderten eine Aufklärung der Morde. Warum die Gewalt bei der Demonstration eskalierte, ist bisher völlig unklar. Der US-Nachrichtensender CNN berichtete, dass von beiden Seiten Gewalt ausging.

Warnung vor vereinfachter Täter-Opfer-Perspektive

Auch Gudrun Wacker warnt vor einer vereinfachten Täter-Opfer-Perspektive: Schon die Proteste in der tibetischen Stadt Lhasa hätten gezeigt, dass das Bild der prügelnden Sicherheitsbeamten, die auf friedfertige Demonstranten einknüppeln, so nicht stimme. Damals zündeten wütende Tibeter auch chinesische Geschäfte an. Die Gewalt zeige "das Maß der Frustration über Diskriminierung und Benachteiligung", so Wacker.

Gewaltsame Auseinandersetzungen sind in allerdings China nichts ungewöhnliches. Selbst nach Fußballspielen komme es manchmal zu Ausschreitungen, bei denen z.B. Autos umgestoßen oder angezündet werden.

Ursache für Mobilisierung sind Handys

Hintergrund für die Mobilisierung zu Demonstrationen wie in Urumchi ist nach Ansicht der China-Expertin die große Verbreitung von Mobiltelefonen. Per SMS lasse sich Protest sehr schnell und einfach organisieren. Schon lange übt die chinesische Führung auf den Informationsfluss dank Mobiltelefonen und Internet immer weniger Kontrolle aus. Vielleicht auch das ein Grund für die schnelle Bestätigung der hohen Zahl der Toten durch die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua.

Wie bei vielen ähnlichen derartigen Protesten hätten die Demonstranten nicht in erster Linie politische Motive, so Dr. Wacker. "Das sind nicht unbedingt Systemgegner" sagt sie. Vielmehr ging es bei derartigen Demonstrationen immer um konkrete Anlässe wie Enteignungen oder Umweltprobleme, Einschränkung von Rechten, Behördenwillkür und Korruption — oder wie in diesem Fall, um die Aufklärung eines Verbrechens.

Hintergründe des Konflikts

Hintergrund des Konflikts sind die ethischen, religiösen und wirtschaftlichen Differenzen zwischen Han-Chinesen und Uiguren. 1949 seien nur acht Prozent der Bewohner der Region Xinjiang Han-Chinesen gewesen, heute seien es über 40 Prozent. Hinzu kämen Saisonarbeiter aus dem chinesischen Kernland wie Erntehelfer, so Wacker.

In dem ethnischen Konflikt spielen viele Faktoren eine Rolle: Es geht um religiöse Freiheit aber auch um die Teilhabe am Wirtschaftswunder China. Xinjiang ist reich an Bodenschätzen, besitzt Erdöl und Erdgas, und der Wohlstand in der Region hat zugenommen. Den Uiguren bleibt aber der Zugang zu gut bezahlten Berufen häufig verwehrt, weil sie nicht qualifiziert sind oder die chinesische Sprache nicht voll beherrschen.

Als autonome Region ist die Provinz berechtigt, die eigene Sprache und Kultur zu pflegen und in der Schule zu lehren. Für die Zulassung zu einem Studium aber sind perfekte Chinesisch-Kenntnisse Voraussetzung.

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