Freiheit für das Internet Schwedens Piraten erobern Europa

Stockholm (RP). Gemessen an ihrer Mitgliederzahl ist die "Piratenpartei" schon die drittstärkste Gruppierung in dem skandinavischen Land. Bei der Europawahl holten die politischen Freibeuter aus dem Stand 7,1 Prozent der Stimmen. Ihre wichtigste Forderung: Das nichtkommerzielle und kostenfreie Teilen von Musik, Filmen und Texten im Internet soll legal werden.

 Das schwarze Banner der Piraten. Mit diesem Logo geht die Partei international auf Beutezug um Wählerstimmen.

Das schwarze Banner der Piraten. Mit diesem Logo geht die Partei international auf Beutezug um Wählerstimmen.

Foto: Piratenpartei

Selbst dem US-Nachrichtensender CNN war das eine ausführliche Berichterstattung wert: Der Riesenerfolg der erst 2006 gegründeten, schwedischen "Piratenpartei" (PP) bei den Europawahlen löste bis in amerikanische Wohnzimmer Verwunderung aus. Von null auf 7,1 Prozent Stimmenanteil — das ist ja schließlich was.

 Gründer und Präsident der Piratenpartei, Richard Falkvinge, arbeitete zuvor in der IT-Branche, unter anderem für Microsoft.

Gründer und Präsident der Piratenpartei, Richard Falkvinge, arbeitete zuvor in der IT-Branche, unter anderem für Microsoft.

Foto: Piratenpartei

Das Ausmaß ihres Erfolgs überraschte die politischen Freibeuter selbst. "Wir wussten, dass sich die Dinge ändern würden, aber nicht, wie sehr", sagt Rickard Falkvinge, Gründer und Vorsitzender der Piratenpartei. Der stämmige Mittdreißiger mit den blonden Haaren, der immer im lilafarbenen Hemd auftritt, hat schon das nächste Ziel im Visier. Im September will Falkvinge mit seiner Truppe auch den Stockholmer Reichstag erobern. Laut Umfragen seien fünf Prozent der Stimmen drin, freut er sich.

Keine staatlichen und polizeilichen Kontrollen

Das Programm der Piraten? Die Partei fordert die Legalisierung des kostenfreien Teilens von Dateien im Internet, die urheberrechtlich geschützte Filme, Musik, Software, digitale Bücher oder ähnliche Kulturgüter enthalten. Dies mit der Einschränkung, dass nur zwischen Privatpersonen geteilt werden darf, die kein kommerzielles Interesse damit verfolgen. Der zweite wesentliche Programmpunkt ist die Freiheit im Internet, das möglichst keinen staatlichen oder polizeilichen Kontrollen unterliegen soll.

Künftig werden die Piraten mit einem Abgeordneten innerhalb der Grünen-Fraktion im Europaparlament für ihr Anliegen werben. Nach Straßburg geht sein Stellvertretern Christian Engström — Falkvinge bleibt lieber als Kapitän zuhause in Schweden an Bord. Das Ergebnis der deutschen Schwesterpartei "Die Piraten", die bei der Europawahl immerhin 0,9 Prozent holte, lässt ihn auf weitere internationale Erfolge hoffen. Schon haben sich in Polen, Spanien, Finnland, Dänemark, Frankreich und Österreich ebenfalls Piraten-Parteien gegründet. Man wolle die Urheberrechtsgesetzgebung global verändern, tönt Falvinge, und Schweden werde der Vorreiter sein.

Für den Durchbruch in seiner Heimat Schweden gibt es mehrere Gründe. Darunter die vor kurzem gefällten, überraschend harten Gefängnisurteile gegen die schwedischen Betreiber der weltweit größten Internettauschbörse "Piratebay". Dem verantwortlichen Richter wurde vorgeworfen, der Film- und Musikindustrie nahe zu stehen. Beides trug maßgeblich zu der enormen Popularität der Piratenpartei bei, die von vielen als politischer Arm von "Piratebay" begriffen wurde. Nach der Verurteilung der Tauschbörsenverantwortlichen stieg die Mitgliederzahl der Piratenpartei rasant von vorher 15.000 auf mittlerweile 50.000 an.

In abgelegenen Dörfern kommt alles aus dem Netz

Gerade in vielen abgelegenen Orten Schwedens haben sich vor allem junge Menschen seit Jahren daran gewöhnt, die neusten Kinofilme, Musik und Computersoftware von der Tauschbörse über das Internet gratis zu beziehen. Das ist ihnen wichtiger als andere Fragen, weil es sie direkt im Alltag betrifft. Weil in Schweden zudem unlängst die Gesetze gegen den illegalen Bezug von geschütztem Material im Internet deutlich verschärft und polizeiliche Kontrollmöglichkeiten des Kommunikationsverkehrs ausgeweitet worden waren, erhielten die Piraten weiteren Zulauf. Es ist ein Generationenkonflikt: Junge Menschen, die mit einem einem völlig deregulierten Internet aufgewachsen sind, protestieren gegen eine empfundene Gängelung.

Vor allem junge Männer, die sonst nicht wählen gehen, stimmten diesmal aus Protest heraus für die Piraten. 19 Prozent der schwedischen Wähler unter 30 Jahren gaben ihnen ihre Stimme. Laut Wahlanalyse sollen zudem zahlreiche Wähler, die sonst eher rechtsextremen Ansichten nahe stehen, zur Piratenpartei gewechselt sein. Auch für letztere Gruppe schien der Gratisbezug von Filmen wichtiger als klassische Reizthemen wie etwa die Ausländerpolitik.

Es gehe seiner Partei nicht um die völlige Abschaffung des Urheberrechts, sagt PP-Chef Falkvinge. Aber es müsse auf fünf Jahre gekürzt werden, statt wie bisher die Lebenszeit des Autors plus 70 Jahre zu umfassen. "Wir haben eine gigantische Basis. Es geht nicht nur um ein Anliegen, sondern um viele. Alles wird heutzutage von der informationstechnischen Perspektive beeinflusst", sagt er.

"Der Staat ist nicht nur gut"

"Die Menschen in Schweden beginnen zu verstehen, dass der Staat nicht nur gut ist", begründet Falkvinge den Wahlerfolg im Wohlfahrtsland Schweden, in dem Menschen dem Staat, anders als in Deutschland, historisch sehr viel Vertrauen entgegenbringen. Falvinge will seine Partei als Bürgerrechtsbewegung verstanden wissen, die sich auch gegen die "elektronische Bespitzelung" der Menschen durch den Staat wende.

In der Tat ist die PP heute nach Mitgliedern schon die drittgrößte Partei Schwedens. Falkvinge wird von politischen Beobachtern eher dem liberal-bürgerlichen Spektrum zugeordnet. So war er auch einmal Mitglied im Schüler- und Jugendverband der gegenwärtig regierenden rechtsliberalen Partei. Eine Haltung, die der heute 37-jährige IT-Systementwickler und ehemalige Microsoft-Angestellte aber bewusst verwässere, um auch Wähler anderer Parteien nicht zu vergraulen.

Bei der politischen Konkurrenz, vor allem den regierenden Rechtsliberalen, liebäugelt man bereits ganz offen mit einem Kurswechsel, weg vom stark kontrollierten Internet zurück zu einer Deregulierung, um den Piraten ihre Gefolgschaft abspenstig zu machen. Das politische Buhlen um die Piraten-Wähler hat begonnen. Falkvinge und seine Mannschaft hoffen jetzt darauf, dass bei den nächsten Reichtagswahlen das rechte und das linke Lager gleich stark werden. Die aktuellen Meinungsumfragen deuten darauf hin. Dann könnten die Piraten das Zünglein an der Waage spielen — und auf fette Beute hoffen.

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