Viele finden nur noch Trümmer Gaza nach den Bomben

Gaza-Stadt (RP). Die Waffen schweigen im Gaza-Streifen. Israel hat seine Truppen vollständig zurückgezogen, Politiker bemühen sich um Frieden – jetzt trauen sich viele Palästinenser erstmals wieder zu ihren Häusern zurück, um ihr Leben neu zu sortieren. Viele finden aber nur noch Ruinen.

Was Fotografen im Gaza-Streifen vorfinden
19 Bilder

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Gaza-Stadt (RP). Die Waffen schweigen im Gaza-Streifen. Israel hat seine Truppen vollständig zurückgezogen, Politiker bemühen sich um Frieden — jetzt trauen sich viele Palästinenser erstmals wieder zu ihren Häusern zurück, um ihr Leben neu zu sortieren. Viele finden aber nur noch Ruinen.

So könnte man sich das Ende der Zeit vorstellen. Im Tawam-Viertel von Gaza geht die Sonne unter. An einer Stelle, so groß wie zwei Fußballfelder, steht kein Stein mehr auf dem anderen. Dort sucht eine Gruppe von Menschen in den Trümmern, was von ihrem ohnehin armseligen Leben geblieben ist. Was sie finden, laden sie auf einen Eselskarren. Sie müssen sich beeilen — bald ist es dunkel, und dann müssen sie wieder in einer der UN-Schulen sein, die Schutz bieten. Um sieben Uhr abends werden die Pforten dort dichtgemacht.

Eine Familie hat Ziegel aufeinandergestapelt und darüber ein Wellblech gelegt. Darunter sitzen sie nun und kochen Tee in einem verbeulten Kessel. Sie wissen, dass sie hier zwar im Moment nicht wohnen können — aber tagsüber wollen sie Präsenz zeigen, wohl auch aus Angst, jemand anderes könnte ihnen den Ort streitig machen, an dem einmal ihr Haus stand.

Soldaten sind abgezogen

Inzwischen ist der Eselskarren beladen. Nur mühsam kommt er auf dem von israelischen Panzerketten zerwühlten Boden vorwärts. Der Guavenbaum, der als Brennholz dienen soll, verrutscht. Eine Babywiege aus Rattan fällt herunter. Wie sortiert man nun sein Leben in Gaza neu? Erst jetzt wird den Menschen das Ausmaß der Zerstörung klar. Viele waren in den ersten Kriegstagen aus den Häusern geflohen, besonders dort, wo wie in Tawam die Israelis vorgerückt waren.

Der letzte Soldat habe den Gazastreifen am Morgen verlassen, sagte ein Militärsprecher. Die Armee bleibe jedoch an der Grenze zum Gazastreifen, um für alle Fälle gewappnet zu sein. Seit Sonntag ist in dem Palästinensergebiet eine Waffenruhe in Kraft, die Israel und die Hamas unabhängig voneinander ausgerufen hatten.

Die Politik bemüht sich, den Waffenstillstand dauerhaft zu machen. Die Außenminister der EU wollen sich noch in dieser Woche mit ihren nahöstlichen Kollegen treffen. Und UN-Generalsekretär Ban Ki Moon bereist das Kriegsgebiet. In Gaza zeigte er sich schockiert über die Zerstörungen: Die "herzzerreißenden Szenen" erfüllten ihn mit tiefer Trauer.

Häuserreste

Als die Waffen schwiegen, trauten sich viele Palästinenser erstmals zu ihren Häusern zurück. Einer von ihnen ist der palästinensische Kameramann Anas Rihan. Sein Haus — oder das, was davon übrig ist — steht am Rande Tawams. Bei der Hausführung schüttelt er immer wieder fassungslos den Kopf. Ein Teil der Fassade ist von einer Panzergranate weggeschossen worden. So haben sich die israelischen Soldaten, die sich hier verschanzt hatten, einen besseren Überblick verschafft. Damit ihr Blick möglichst weit reichte, haben sie mit Bulldozern den Boden um das Haus umgewühlt.

"Dort standen unsere Orangen- und Olivenbäume", sagt Rihan. Drinnen ist alles wild durcheinandergeworfen — ein Computer, Matratzen, Spielsachen, Küchenutensilien. "Wir haben das Haus am zweiten Tag verlassen", erzählt Rihan, der hier mit seiner Frau, seinen zwei Kindern, seiner Schwester und seinen Eltern wohnte. "Ich habe als Kameramann in Gaza schon viel gefilmt, aber ich hätte nicht gedacht, dass ich eines Tages mein eigenes zerstörtes Haus filmen werde."

Auch die Hamas kehrt zurück

Wie es weitergeht, weiß keiner. "Wie soll es Frieden geben nach dieser Zerstörung? Trotzdem hoffe ich, dass es ruhig bleibt und dass wir irgendwann wieder ein normales Leben führen können", sagt Anas Rihan. Doch schon mit dem Zement für den Wiederaufbau dürfte es schwierig werden. Die einzige Zementfabrik im Gaza-Streifen ist ein Schrottplatz. Die Wucht der Explosionen hat die schweren Mischer wie Käfer auf den Rücken gedreht — als wenn ein wütendes Kind sein Spielzeug umgeworfen hätte. Schon mit der Fabrik war es schwer, in Gaza Baumaterial zu finden.

Rihan gehört weder der Hamas noch der rivalisierenden Fatah an — und das, fürchtet er, wird sich negativ auf den Wiederaufbau seines Hauses auswirken. Im Moment geben immer noch die Islamisten den Ton in Gaza an: Der bärtige Verkehrspolizist im Zentrum ist das erste Symbol zurückkehrender, "staatlicher" Hamas-Macht. Aber auch die Fatah von Palästinenserpräsident Machmud Abbas wird versuchen, mit Geldern für den Wiederaufbau im Gaza-Streifen neue Loyalitäten zu schaffen. Der Wettkampf um den Wiederaufbau ist vorgezeichnet.

Rihan hat die Nase voll von solchen Spielchen. Er ist aber auch realistisch. "Wenn du weder für die einen noch die anderen bist", sagt er, "dann baut nur Gott dein Haus wieder auf."

(RP)
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