Präsidentschaftswahl in Frankreich Der gallische Patient

Paris · Unter den Kandidaten bei der Präsidentschaftswahl in Frankreich plant lediglich Amtsinhaber Nicolas Sarkozy Sparmaßnahmen. Selbst diese reichen in dem wirtschaftlich kranken Land aber nicht aus.

Anhänger-Duell zwischen Sarkozy und Hollande
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Es ist eine bunte Schar, die sich am Sonntag im ersten Durchgang der französischen Präsidentschaftswahl um den Einzug in den Elysée-Palast bewirbt. Zehn Kandidaten, von denen die wenigsten eine ernsthafte Aussicht auf die Präsidentschaft haben. Nur die zwei Bestplatzierten werden nach der ersten Runde weiter- und in die entscheidende Stichwahl am 6. Mai kommen. Vorausgesetzt, es gibt keine großen Überraschungen, dürften die Finalisten Nicolas Sarkozy und François Hollande heißen — der konservative Amtsinhaber gegen den sozialistischen Herausforderer.

Anders als bei der vergangenen Präsidentschaftswahl 2007 — bei der sich mit Sarkozy und der Sozialistin Ségolène Royal zwei "neue" Gesichter gegenüberstanden — ist die Stimmung diesmal merkwürdig verhalten. Die Zahl der Nichtwähler könnte Umfragen zufolge bis zu 30 Prozent erreichen. Eine Mehrheit glaubt, die Kampagne gehe an den eigentlichen Problemen des Landes vorbei.

In der Tat fällt bei dieser Wahl auf, wie wenig es um Programme, dafür aber mehr um Personen geht, die allesamt nach einem gemeinsamen Prinzip zu handeln scheinen: Nach dem Motto "Frankreich — allein gegen alle" reagieren die meisten Kandidaten auf die derzeitige Euro-Krise und die wachsende Globalisierung mit Protektionismus-Reflexen, neuen Ausgabeversprechen und Wirklichkeitsflucht. Die schrillste Figur ist dabei Jacques Cheminade. Der Kandidat der Partei Solidarität und Fortschritt glaubt an eine Weltverschwörung der Hochfinanz und würde gerne den Mars besiedeln.

Auf der Erde aber sorgen sich die Franzosen vor allem um Arbeitsplätze und die schwindende Kaufkraft, suchen nach realistischen Visionen, wie Frankreich seine verlorene Wettbewerbsfähigkeit zurückgewinnen und die Schulden in den Griff bekommen kann. Denn Frankreich ist ein wirtschaftlich krankes Land.

Seit Mitte der 70er Jahre hat das Land keinen ausgeglichenen Haushalt mehr vorgelegt. Die Quote öffentlicher Ausgaben ist mit 56 Prozent der Wirtschaftsleistung so hoch wie in keinem anderen Land der Eurozone. Zusätzlich hat Frankreich ein hochverschuldetes Gesundheits- und Rentensystem, eine Arbeitslosigkeit, die seit Jahrzehnten kaum von der Zehn-Prozent-Marke wegkommt, und eine noch höhere Jugendarbeitslosigkeit. Allein unter Sarkozys Amtszeit ist die Gesamtverschuldung um ein Drittel auf 1,6 Billionen Euro angestiegen, der Schuldendienst macht mit 42 Milliarden Euro den zweitgrößten Budgetposten aus. Das Außenhandelsdefizit — die Lücke zwischen Einfuhren und Ausfuhren — erreichte 2011 mit mehr als 80 Milliarden Euro einen neuen Negativrekord.

Experten befürchten bereits, dass die nächste Krise in Paris entstehen könnte. Maßnahmen, um das Land glaubhaft aus der Schuldenfalle zu holen und die Wettbewerbsfähigkeit anzukurbeln, kommen im aktuellen Wahlkampf indes kaum zur Sprache. Während der Rechnungshof 100 Milliarden Euro Sparmaßnahmen empfiehlt, kündigt der Favorit Hollande stattdessen 20 Milliarden neue Ausgaben an. Zwar verspricht er, das Haushaltsdefizit bis 2017 auf Null zurückzuführen. Die Staatsausgaben will er allerdings nicht kürzen, er erhöht lieber deftig die Steuern und setzt darauf, dass die Konjunktur endlich anspringt. Nicolas Sarkozy darf wenigstens zugutegehalten werden, dass er Einsparungen einplant, doch ist sein Programm Wirtschaftsexperten zufolge zu 20 Prozent unterfinanziert. Außerdem leidet seine Glaubwürdigkeit, hat er es doch auch in den vergangenen fünf Jahren nicht geschafft, die öffentlichen Finanzen in den Griff zu bekommen und das Land zu reformieren.

Die Enttäuschung vieler Franzosen über Sarkozy und die mangelnde Begeisterung für Hollande könnte viele Wähler in die Arme der Extremen treiben: Am rechten Rand lockt dabei Front-National-Chefin Marine Le Pen mit Anti-Ausländerparolen und ihrer Forderung, aus dem Euro auszusteigen. Auf der ganz linken Seite steht wiederum, neben einem Anarchisten und einer Trotzkistin, der Kandidat der Linksfront, Jean-Luc Mélenchon. Er hat in Umfragen auf 15 Prozent zugelegt und verkörpert die Realitätsferne dieser Kampagne exemplarisch, mit seinem Appell zur Revolution, seinen surrealistischen Versprechen, Einkommen oberhalb von 30 000 Euro pro Monat mit 100 Prozent zu besteuern und die Banken zu verstaatlichen.

Der Erfolg der Extremen setzt wiederum die beiden Favoriten, Sarkozy und Hollande, unter Druck. So sind auch deren jüngste Attacken auf die EU aus diesem Licht heraus zu verstehen. Während Sarkozy das Schengen-Abkommen revidieren will und damit droht, einseitig die Zollschranken wieder runterzulassen, will Hollande den Fiskalpakt neu verhandeln. Damit bedienen sie die Sehnsucht nach alter Größe, anstatt der Wahrheit ins Gesicht zu sehen.

(RP/sap/csr)
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