Duisburg "Die Klinik war das Beste für mich"

Duisburg · Viele Menschen geraten langsam auf die abschüssige Bahn des Lebens, die im Burn-out und in einer Depression mündet. In einer Psychotherapie lernen sie zu erkennen, wer sie wirklich sind, und wie sie in ihre Krankheit hineingeraten konnten. Eine Betroffene berichtet.

Schick hat sie sich angezogen für das Gespräch, in ihrer Kurzhaarfrisur steckt Pfiff, das T-Shirt ist weiß, die Hose schwarz, offen guckt sie einem ins Gesicht. Lächeln fällt ihr nicht schwer. Anke Fallenbaum* (37) macht einen gelösten Eindruck. Doch mit Namen möchte sie nicht in die Zeitung, "ich habe viel Kundschaft in meiner Boutique in Duisburg, die kennen mich alle".

Niemand soll wissen, dass es Anke Fallenbaum umgehauen hat und dass an Arbeit derzeit nicht zu denken ist. Morgens fährt sie nicht in ihren Laden, sondern in die Tagesklinik des LVR-Klinikums in Düsseldorf. Dort, in der Abteilung "Allgemeine Psychiatrie 2", kümmern sich Profis um sie, denn Fallenbaum ist krank. "Ich habe ein Burn-out-Syndrom", sagt sie. Dieses Syndrom steckt in einem ganzen Paket voller Leid. Und irgendwo darin verbergen sich eine Depression, Taschentücher voller Tränen und die Einsicht, dass sie es allein nicht schafft. Der Zusammenbruch war hart, schmerzlich, grausam. Neben ihr im Gespräch sitzt Oberarzt Joachim Cordes. Er achtet darauf, dass das Gespräch nicht den Rahmen verlässt, in dem es für Anke Fallenbaum noch erträglich ist.

Dass ihr das passieren musste! Sie war doch immer optimistisch, immer das Rennpferd vom Dienst, im Laden wie daheim, immer bestrebt, es allen recht und perfekt zu machen. Tagsüber Job mit viel Verantwortung und mehreren Mitarbeitern, abends Haushalt – "lange war das kein Problem für mich!" Mit ihren Kräften hauszuhalten und Lasten an andere zu delegieren, das hat sie nicht gelernt. Anke war da, Anke managte alles, sie bekam Lob. Aber es wurde immer mehr Arbeit, und dafür reichte das Lob nicht mehr aus, irgendwann spürte sie eine Automatik, für die es kein Bremspedal gab. Dass ihre Ehe in eine Krise kam, an der sie zerbrach, war vielleicht das Lichtzeichen für den Start der Krankheit. Auf der falschen Spur reiste sie schon seit langem.

"Als es im Frühjahr losging mit der Krankheit, habe ich zwar kleine Warnzeichen gespürt, aber nicht ernst genommen. Ich wurde antriebsschwach, ich brach persönliche Kontakte ab und wollte nur auf kürzestem Weg vom Laden nach Hause. Da habe ich aber nur herumgesessen." Irgendwann schüttelten sie Panikattacken und heftige Rückenschmerzen, ihre Migräne wummerte, und ihr Herz schlug bis in die Ohren, laut und schnell. Ihre Nächte waren sowieso nicht zu gebrauchen, sie lag immer wach. "Und als es nicht mehr auszuhalten war, brachte mich mein neuer Freund in die Klinik. Das war das Beste, das mir passieren konnte."

Anke Fallenbaum hat viele Jahre ihres Lebens in der Unentbehrlichkeitsfalle verbracht, ohne es zu bemerken. Das Gebäude ihres Lebens schien jedem Beben standzuhalten. Es war ein Irrtum. Jetzt muss sie lernen, die Steine wieder aufeinander zu setzen – "und ich will mir hier viel Zeit lassen, denn ich habe Angst davor, zu früh wieder in meinen Beruf zurückzugehen".

Die Tagesklinik bietet ihr alle Möglichkeiten, ihr Leben von innen in den Griff zu bekommen und dennoch nicht unter die Knute des Heilungszwangs zu geraten. "Abends bin ich immer in meiner Wohnung. Da weine ich immer noch sehr viel." Psychiatrie – das Wort hat für sie aber keinerlei Schrecken, im Gegenteil, sie genießt die Professionalität der Hilfe, das vielseitige Angebot aus Gespräch, Schulung, Musik- und Tanztherapie; Medikamente machen einige Dinge einstweilen leichter. "Vor allem habe ich hier liebenswerte Menschen gerade unter den Patienten getroffen, denen ich nie zugetraut hätte, dass es ihnen so geht wie mir." Nun, keinem guckt man hinter die Stirn.

Niemand weiß, was ihm widerfahren wird, wenn er Grafenberg als geheilt verlässt. "Denn da draußen, da ist das Haifischbecken, das auch auf mich wartet", sagt Anke Fallenbaum, und sie sieht etwas unglücklich aus, als sie das sagt. Immerhin weiß und lernt sie, dass auch sie ihre Zähne einsetzen kann – und Schwäche zeigen darf. Vor einigen Tagen hat sie erstmals ihre Kollegen wiedergesehen. "Auf diesen Moment hat mich der Stationsarzt vorbereitet. Ich hatte solche Angst davor, aber es ging erstaunlich gut. Ich habe denen einfach erzählt, wie es mir ging. Und die haben total aufbauend reagiert."

Die Patientin, sagt Oberarzt Cordes, hat eine gute Prognose. Aber sie wird Zeit brauchen. Sie weiß es und drängt nicht. Sie guckt jetzt erst mal, wer sie wirklich ist. Und wie es ihr gelingt, die Fallen des Lebens zu erkennen. (*Name geändert.)

Morgen: Die Fragen und Antworten der RP-Telefonaktion zu "Burn-out"

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort