Wermelskirchen in Corona-Pandemie „Kinder sind sehr deutlich belastet“

Wermelskirchen · Der Chefarzt der Sana-Klinik für Kinder und Jugendliche, über die Corona-Folgen und eine Covid-19-Impfung. Für ihn ist das Thema Impfen jetzt noch mal ganz aktuell geworden.

Dr. Ansgar Thimm (53) ist Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Sana-Klinikum Remscheid. Er hat auch Patienten mit Covid 19 behandelt.

Dr. Ansgar Thimm (53) ist Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Sana-Klinikum Remscheid. Er hat auch Patienten mit Covid 19 behandelt.

Foto: Anke Doerschlen

Dr. Thimm, der Corona-Impfstoff von Biontech könnte schon im Sommer auch für Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren zugelassen werden. Sollten Eltern ihre Kinder dann möglichst schnell impfen lassen?

Dr. Ansgar Thimm Wenn der Impfstoff dann zugelassen sein sollte, sehe ich das als Kinderarzt als sehr positive Möglichkeit, Kinder vor einer Corona-Infektion zu schützen. Ich habe auch das Vertrauen, dass der Impfstoff gut wirksam ist und gut vertragen wird.

Welche Kinder sollten überhaupt geimpft werden?

Dr. Thimm Das hängt stark von der Zulassung ab und für welches Alter der Impfstoff freigegeben wird. Ich sehe aber erst mal keinen Grund, wenn sich der Impfstoff in Studien als sicher erwiesen hat, die Impfung einem Kind vorzuenthalten. Meiner Meinung nach sollten dann auch Kinder die Impfung erhalten.

Aber auch bei Kindern treten chronische Krankheiten auf. Sollten diese Kinder geimpft werden?

Dr. Thimm Diese betroffenen Kinder sind sicher noch mal mehr gefährdet als andere. Wenn wir hier von einer Priorisierung sprechen, würde ich sagen, dass man erst diejenigen Kinder impft, die ein höheres Risiko für einen potenziellen schweren Krankheitsverlauf von Covid-19 haben. Wir haben hier bei uns allerdings noch kaum besorgniserregende Verläufe bei Kindern gesehen.

Das heißt, Sie haben bereits Kinder mit Covid-19 in Ihrer Kinderklinik behandelt?

Dr. Thimm Ja, aber in dem Sinne, dass die Kinder nicht immer mit dem Verdacht auf eine Sars-CoV-2-Infektion eingewiesen wurden. Dadurch, dass wir alle Patienten und Begleitpersonen testen, die auf unsere Station kommen, sind positive Fälle aufgefallen, deren Symptome auch bei einer Covid-19-Infektion vorkommen. Die Verläufe waren aber überwiegend milde. Von den 20 Kindern, die wir in der Kinderklinik mit Covid-19 behandelt haben, hatten wir zwei Kinder, die wir auf der Intensivstation aufnehmen und mit Sauerstoff behandeln mussten. Das waren aber zum Glück Ausnahmen.

Welche gesundheitlichen Risiken bedeutet eine Corona-Infektion für Kinder?

Dr. Thimm Weil der Verlauf in der Regel gutartig ist, würde ich nicht davon ausgehen, dass Kinder nachhaltig von der Covid-19-Infektion geschädigt werden. Dazu muss man allerdings auch sagen: Wenn so viele Menschen betroffen sind, wird es auch immer Kinder und Jugendliche geben, bei denen auch ,Long Covid‘ eine Rolle spielt. Das trifft wohl aber nicht auf die Mehrzahl zu.

Einige Eltern haben Vorbehalte gegen die Impfung von Kindern, weil diese selbst nur sehr selten schwer an Covid-19 erkranken. Wie bewerten Sie das als Kinderarzt?

Dr. Thimm Ich erfahre in meiner täglichen Arbeit, dass sich Eltern sorgen und Gedanken machen um eine Covid-19-Impfung. Es gibt viele Fragen, denn es ist ja auch ein neuer Impfstoff. Ich denke, diese Sorgen müssen wir ernst nehmen. Wir müssen mit den Eltern sprechen und sie aufklären. Auch wenn Kinder oft ohne Symptome bei einer Infektion bleiben, bieten sie dem Virus doch einen Nährboden, auf dem er mutieren kann und eventuell gefährlicher wird. Das gilt es, möglichst zu verhindern. Das ist ein weiterer Grund, warum ich als Kinderarzt generell eine Impfung empfehle.

Das Thema Impfen hat in der Corona-Pandemie einen neuen Stellenwert erhalten. Hat sich die Einstellung dazu Ihrer Meinung nach im Vergleich zu früher gewandelt?

Dr. Thimm Das Thema Impfen ist jetzt noch mal ganz aktuell geworden. Es polarisiert aber auch eine Gesellschaft. Es wird deutlicher, wer dafür und wer dagegen ist. Über das Jahr der Pandemie hinweg sehe ich, dass sich auch Einstellungen geändert haben – in beide Richtungen. Ich erlebe es, wenn man sich die vergangenen sechs Monate anschaut, dass Eltern, die früher eher kritisch waren, nun doch mehr nachfragen und sich die anfängliche Skepsis etwas löst. Ich habe aber auch die Sorge, dass einige das Thema Impfen nicht mehr so ernst nehmen. Es tauchten Fragen auf wie: Reicht nicht vielleicht doch nur eine Impfdosis?

Sorgen bereiten Ihnen wahrscheinlich auch die Mutationen.

Dr. Thimm Ja, aber es liegt in der Natur der Sache, dass man noch so wenig vorhersagen kann. Wir wissen noch nicht genau, wann eine Auffrischungsimpfung notwendig sein wird und in welchen Abständen. Aber gerade der mRNA-Wirkstoff bietet gute Möglichkeiten, ihn schnell anzupassen bei auftretenden Virusmutationen.

Für Masern wurde im vergangenen Jahr in Deutschland eine Impfpflicht eingeführt, weil zu viele nicht geimpft waren. Gibt es trotzdem noch Eltern, die eine Impfung ablehnen? Und wenn ja, wie begründen Eltern dies?

Dr. Thimm Es ist hier bei uns nur ein sehr geringer Teil, der diese Impfung infrage stellt. Aber es gibt hin und wieder die Bitte, ob man nicht eher Antikörper nachweisen oder bestimmen kann, um diese Impfung zu vermeiden. Allerdings sind das doch nur sehr wenige Familien. Die Begründung: Es wird viel Wert auf Natürlichkeit gelegt. Wobei ich gerade die Impfung gegen Masern als eine essenzielle Impfung ansehe. Denn es handelt sich um eine schwere Krankheit, an der Kinder sterben oder von der sie lebenslange Folgen davontragen können.

Welche Folgen der Corona-Pandemie auf Kinder und Jugendliche sehen Sie als Kinderarzt?

Dr. Thimm Ich erlebe, dass Kinder sehr deutlich belastet sind. Es äußert sich sehr unterschiedlich. Gerade durch die Einschränkungen, die es durch die Pandemie im Alltag gibt, fallen sehr viele Bereiche weg, die sich für Kinder sonst als Ausgleich dargestellt haben. Thema Schule: Es fiel zum Teil ein für Kinder und Jugendliche so wesentlicher Ort sozialer Kontakte weg. Meine Befürchtung ist, dass bei Kindern, die sich mit sozialen Kontakten eher schwer tun und sich im Distanzlernen wohlgefühlt haben, wieder Ängste hochkommen, sobald die Schule wieder beginnt. Das wird bei einigen unweigerlich zu Schulvermeidung führen. Es wird einen großen Bedarf für die Psychosomatik geben, das wieder aufzufangen. Thema Bewegung: Es gibt viele Kinder, die den Sport, auch in Vereinen, zum Ausgleich brauchen, um ihre Energie rauszulassen. Das können sie jetzt nicht. Der Bewegungsdrang spielt sich nun in der Wohnung ab. Kinder zeigen hier nun oftmals Verhaltensauffälligkeiten – und das in einem Umfeld, in dem die Eltern ja selbst belastet sind. Es kommt dadurch leicht zu noch mehr Spannungen. Und: Kinder essen in der Pandemie mehr, bewegen sich weniger. Ja, viele werden die Kilos wieder abnehmen, aber einige auch nicht. Ich denke, hier werden wir es nachhaltig mit einem Problem zu tun bekommen. Und während der erste Lockdown noch sportlich gesehen wurde, tritt jetzt eine Müdigkeit und eine Depression ein. Jugendliche, die ihr Freiwilliges Soziales Jahr machen oder nach dem Abi verreisen wollten, sitzen nun zu Hause und wissen nicht, wie ihre Ausbildung weitergeht. Viele Jugendliche, die nicht so willensstark sind, leiden sehr darunter. Das bestätigen auch niedergelassene Kinderärzte. Sie erleben mehr psychosomatische Beschwerden wie Bauchschmerzen und Brustschmerzen bei Kindern. Da kommt körperlich zum Ausdruck, worunter die Seele leidet. Und deswegen ist es wichtig, zu impfen. Denn dadurch wird den Kindern und Jugendlichen ermöglicht, ohne größere Einschränkungen am sozialen Leben teilzuhaben.

(Boll)
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