Düsseldorf Die Besonderheiten von Einsteins Gehirn

Düsseldorf · Der Schöpfer der Relativitätstheorie gilt als einer der klügsten Menschen, die je gelebt haben. Mit Hilfe neuer Fotos seines Gehirns beginnt jetzt die Suche nach dem Sitz seiner speziellen Intelligenz.

Albert Einstein hat eine besondere Leistung erbracht: Vor fast 100 Jahren erdachte er eine komplexe Theorie, die noch heute unwidersprochen ist und zudem den Sockel zahlreicher moderner Erkenntnisse der Naturwissenschaften bildet. Der Begründer der Relativitätstheorie zum Verhalten von Raum und Zeit machte niemals ein Experiment; er entwickelte seine Ideen eigenständig durch Nachdenken: Gedankenexperimente. Niemand zuvor hat das menschliche Gehirn derart zu Höchstleistungen auf dem Gebiet der Wissenschaft getrieben.

Dennoch bleibt sein Denkorgan ein großes Rätsel, schon deshalb, weil es nicht mehr komplett vorhanden ist. Es passt zu diesem gespaltenen Menschen, dass der Umgang mit seinem Gehirn so mysteriös ist, wie die Person selbst. Denn als Einstein 1955 starb, erkannte der Pathologe Thomas Harvey bereits den Wert dieses speziellen Organs und entfernte es, vermutlich unerlaubt, aus der Leiche.

Harvey mag in guter Absicht gehandelt haben, sein Verhalten erwies sich aber als Hindernis für weitere Forschung. Er zerlegte das Organ in 240 Teile, konservierte sie und schickte diese an Hirnforscher auf der ganzen Welt. Vieles ist seit dem verschollen, die Einzelteile wirken so nutzlos, dass in den vergangenen 56 Jahren nur sechs wissenschaftliche Arbeiten zum Gehirn des Meisterdenkers veröffentlicht wurden. Aber immerhin fertigte Harvey Fotos an, bevor er seine persönliche Entscheidung zur Art der Konservierung traf. Dieser bedeutende Nachlass ging 2010, drei Jahre nach Harveys Tod, an das National Museum of Health & Medicine (NMHM) in Maryland.

Die Anthropologin Dean Falk beschäftigt sich seit fünf Jahren mit den Bildern. Ihr Team verglich das Gehirn des Vordenkers auf der Suche nach Besonderheiten mit dem von 85 anderen Personen. Ihr Ergebnis: Mit 1230 Gramm war Einsteins Gehirn nur von gewöhnlicher Größe und Gewicht – sein Aufbau weicht aber deutlich und einzigartig vom Durchschnittsdenker ab, vielleicht der Schlüssel für die Suche nach dem Sitz und der Entstehung spezieller Intelligenz.

Die Fachzeitschriften "Nature" und "Science" würdigten in diesen Tagen Falks beharrliche Arbeit, verweisen aber auch das Problem von Henne und Ei: Entwickelte sich Einsteins Gehirn so besonders, weil er sich mit hohem Zeitaufwand so komplizierten Themen zuwandte und damit die extreme Entwicklung bestimmter Gehirnareale förderte? Oder war das vielleicht zufällig oder durch genetische Voraussetzungen so geplante Gehirn Ursprung seiner enormen Intelligenz? Die Antwort muss zunächst offen bleiben.

Sicher ist, dass der präfrontale Cortex, ein Teil des Frontallappens der Großhirnrinde, bei Einstein sehr groß war und ungewöhnliche Windungen hatte. Er wird als oberstes Kontrollzentrum für eine situationsangemessene Handlungssteuerung angesehen und regelt den Umgang mit Emotionen und das abstrakte Denken. Auch der somatosensorische Bereich ist stärker ausgeprägt, vor allem für Zunge und Gesichtsmuskeln. Nach gängiger Forschung steuert dieses Areal die Verarbeitung haptischer Wahrnehmung, also die Auswertung äußerer Reize. Auch Einsteins Fähigkeit mit außergewöhnlicher Ausdauer komplexe Probleme zu bearbeiten, wird durch die Gehirnstruktur bestätigt.

Einstein sagte einmal beim Versuch, das Denken zu erklären: Erkenntnis könne nicht von allein erblühen, sondern nur durch den Vergleich von Erdachtem mit dem Beobachtetem. Der Prozess des Denkens gehe weitgehend unbewusst vor.

(RP)
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