Umstrittenes Projekt in Singapur Wenn Abwasser zu Trinkwasser wird

Singapur · Milliarden Menschen haben nicht genug Trinkwasser. In Ballungszentren wächst das Problem. Der winzige Stadtstaat Singapur hat eine Lösung: Trinkwasser aus Abwasser. Kritiker warnen vor einer Katastrophe.

 Die Newater-Fabrik der staatlichen Wasserwerke PUB in Singapur. Sie bereitet die Abwasser zu Trinkwasser auf.

Die Newater-Fabrik der staatlichen Wasserwerke PUB in Singapur. Sie bereitet die Abwasser zu Trinkwasser auf.

Foto: PUB, Singapore's national water agency/dpa

Das kleine Mädchen rümpft zuerst die Nase, und auch die Mutter schaut ganz skeptisch: Die Tochter soll das Wasser aus der Flasche mit dem lustigen Aufkleber kosten - es sei lupenrein, wenn auch aus Toiletten- und anderem Abwasser hergestellt, beteuert die Betreuerin im Besucherzentrum der Newater-Fabrik in Singapur. Dann setzt die Kleine an. Und in der Tat: "Das schmeckt ja nach nichts", sagt sie erleichtert. So soll es auch sein.

Singapur feiert den Weltwassertag (22. März) jedes Jahr mit Wassersport und Aufklärungskampagnen. "Jeden Tropfen Wasser mehr als einmal nutzen", ist die Losung der staatlichen Wasserwerke PUB. Der asiatische Stadtstaat ist Vorreiter der Aufbereitung von Abwasser zu Trinkwasser. Aus gutem Grund: Das winzige Land fast am Äquator - knapp so groß wie Hamburg - ist zwar mit Regen reich gesegnet, doch fehlt der Platz für Wasserreservoirs. Das gebrauchte Wasser zu recyceln war naheliegend.

Newater-Wasser als Name für recyceltes Abwasser

Die Akzeptanz in der Bevölkerung ist allerdings so eine Sache. "Dabei ist ja auch Regen nichts anderes als recyceltes Abwasser", sagt die Führerin im Besucherzentrum. Trotzdem fließt auch in Singapur "Newater" - eine Wortspielerei mit "New" (neu) und "Water" (Wasser) - nicht direkt aus den Wasserhähnen. Der Großteil wird laut PUB in der Industrie, etwa in der Halbleiterproduktion, oder in Klimaanlagen in öffentlichen Gebäuden verwendet. Aber ein kleiner Teil wird auch in die Trinkwasser-Reservate geleitet. Abgefülltes Newater-Wasser gibt es nur im Besucherzentrum.

Singapur begann mit dem "Trinkwasser aus der Kanalisation" 2003. Ein Drittel des Abwassers der 5,7 Millionen Einwohner wird bereits aufbereitet. Das Abwasser wird aus den Wohnsiedlungen durch 48 Kilometer Tunnel zur Aufbereitungsfabrik geleitet. Dort werden täglich 273 000 Kubikmeter "Newater" produziert.

Das Wasser wird durch Mikrofilter und Membranen gepresst sowie ultraviolett bestrahlt. Diesen Prozess veranschaulicht die Führerin im Besucherzentrum mit einem Vergleich: "Wenn die Wassermoleküle, die durch die Membranen gehen, so groß wie Tennisbälle wären, wäre ein Östrogenhormon im Vergleich dazu so groß wie ein Fußball, ein Virus so groß wie ein Lkw und ein Bakterium so groß wie ein Haus", sagt sie. "Nichts davon kann durch die feinen Membranen dringen."

Newater-Produktion ist wesentlich energieärmer

Wasser ist in vielen Teilen der Welt knapp. Vier Milliarden Menschen weltweit haben nicht genügend Trinkwasser. Die Landflucht macht das Problem in den immer größer werdenden Metropolen besonders dringend. Eine Meerwasser-Entsalzungsanlage brauche dreimal so viel Energie pro Liter Trinkwasser wie die Newater-Produktion, sagen die Singapurer.

Orange County im US-Bundesstaat Kalifornien tut es den Singapurern gleich. Australien wirbt für das Konzept, aber der Widerstand in der Bevölkerung ist noch groß. "Die Auflagen für aufbereitetes Wasser sind höher als für Trinkwasser", sagte Tim Fletcher, Direktor des Instituts für nachhaltige Wasserressourcen an der Monash Universität in Melbourne, dem Sender ABC. "Wenn wir aufbereitetes Wasser trinken können wir sicher sein, dass die Qualität mindestens so hoch ist wie bei dem Trinkwasser, das wir heute bekommen, wenn nicht höher."

Der Mikrobiologe und Spezialist für anstreckende Krankheiten Peter Collignon nennt das Konzept "unverantwortlich". "Das Potenzial katastrophaler Folgen für die öffentliche Gesundheit ist da, wenn irgendetwas in diesem komplexen und risikobehafteten (Reinigungs-)Prozess schief geht", warnt er.

(dpa)
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