Kunstprojekt macht Viersen zum Schilderwald Als das Grinsen vom Kreishaus verschwand

Viersen · Viersen wird zum Schilderwald und die Kommune hat nichts damit zu tun. Oder eigentlich doch, denn trotz leerer Kassen ist hier ein neues Amt entstanden.

Wortfindung in Viersen
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Allerdings hat das Wortfindungsamt nur vorübergehend — noch bis Mittwoch — seine Pforten geöffnet. Dann ziehen das interaktive Projekt, das auf eine Kunstinitiative gründet, und seine Erschafferin Sigrid Sandmann weiter. Allerdings nicht, ohne einen Eindruck hinterlassen zu haben. Eine Gruppe bildender Künstlerinnen und Künstler vom Niederrhein hatte die Hamburger Künstlerin nach Viersen geholt.

In der Reihe "Caravan und Satellit — Kunst auf Achse" werden in verschiedenen Städten der Region Kunstprojekte rund um einen kleinen, weißen Caravan gestartet. Los ging es vor einigen Wochen in Rheydt, dann folgte Nettetal und nun Viersen. In jeder der drei Städte war der Caravan zwar Ort der Kunstinitiative, doch mit immer anderen Inhalten und Aktivitäten.

Wenn Sigrid Sandmann den Caravan, in dem das Wortfindungsamt untergebracht ist, wieder einpackt, startet an der Bleichwiese an der Lüpertzenderstraße eine neue Aktion. Ab dem 1. Oktober ist der Caravan dann auf der Wiese am Südausgang des Hauptbahnhofs in Krefeld zu Gast.

Dass Sandmann offiziell als "Beamtin auf Zeit" tätig ist, hat sich in der beschaulichen Kreisstadt noch nicht überall herumgesprochen. So hatte eine Hauseigentümerin an der Freiheitsstraße die Polizei gerufen, als ein Worterfinder sein Wortwerk "Kunstkulturfreiheitsstraße" mit doppelseitigem Klebeband an das Haus geheftet hatte. Den Polizeibeamten aber hielt das Team um die Künstlerin gleich die Ernennungsurkunde zur Beamtin auf Zeit unter die Nase. Die hatte bei der Eröffnung der Aktion der stellvertretende Bürgermeister der Stadt, Dr. Paul Schrömges, feierlich überreicht.

Über 560 Wörter hat die Künstlerin, unterstützt von einem kleinen Team Ehrenamtlicher, im Bürgerauftrag in den vergangenen Tagen gefertigt. Darunter politische Wortungetüme wie "Landesfördergelderwarter", das später an der Kindertagesstätte St. Josef prangt. Oder auch das Wort "Grasnarbenpolierer", das über einer mit Unkraut überwucherten Hausecke angebracht wurde. Dieses Schild hing nicht lange - schnell erbarmte sich ein junger Mann und brachte die Grasnarben auf Hochglanz. Bushaltestellen wurden in den vergangenen Tagen in Viersen zu Strandorten oder Zweitwohnungen und der Weg zum Kreishaus zum Gassipfad.

Die Idee, allen Bürgern das freie Wortschaffen zu ermöglichen, entstand nach dem Besuch einer Amtsstube. Nach langen Gesprächen begab sich Sandmann auf den Weg nach Hause und dachte: "Mir fehlen die Worte". So beschloss sie, ein Wortfindungsamt zu gründen, in dem jeder Bürger frei inspiriert nach Wörtern suchen kann, die ihm wichtig sind. Diese werden als wetterfeste Schilder gefertigt und können frei in Viersen und seinen Stadtteilen verteilt werden. So jedenfalls die Idee der Künstlerin.

Manches Schild jedoch bekommt schnell ein Eigenleben, vor allem dann, wenn es jemand persönlich nimmt oder das Wort besonders einfallsreich ist. Verschwunden ist beispielsweise das Schild "Grinsen", das mit Blick auf die gar nicht fröhlich dreinschauenden Beschäftigten in den Büros am Kreishaus hing. Dort hatte Sandmann selbst Hand angelegt.

Wie lange die Wörter Viersens Hauswände, Vordächer, Lattenzäune oder Bäume noch zieren, liegt in der Hand der Bevölkerung. Doch auch wenn die Schilder dort verschwunden sein werden, wo sie derzeit für Schmunzeln oder Grollen sorgen, überdauern sie ihre Zeit: Auf der Seite www.wortfindungsamt.de kann man eigene Fotos von Wörtern, die einem begegnen, uploaden. Dort werden sie dann mit Fundort angezeigt.

(RPO)
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