Solingen Nachlass eines Eigenbrödlers

Solingen · Weil sie nicht repräsentabel für das Regime waren, wurden die Dramen Alfred Matusches in der DDR kaum aufgeführt. Jetzt übergab Schauspieler Peter Sodann den Nachlass an die Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft.

Die mit filigranen Großbuchstaben eng beschriebenen Seiten, maschinengetippten Briefe oder fein gezeichneten Grundrisse einer Wohnung geben fast ein ganzes Leben wider: Sie sind Zeugen des Schaffens, Lebens und nicht zuletzt Sterbens von Alfred Matusche. Und: Sie sind, neben Gedichten, Hörspielen und vor allem Theaterstücken der gesamte Nachlass des 1973 verstorbenen Dramatikers, der in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden wäre.

Am Sonntag übergab Peter Sodann, langjähriger Intendant des "neuen theater" in Halle, Tatort-Kommissar und Regisseur, das Erbe Matusches, mit dem er eng befreundet war, an die im Museum Baden ansässige Stiftung der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft. Ab sofort ist das Lebenswerk des DDR-Dramatikers Matusche als Teil der Dauerausstellung "Die verbrannten Dichter" im Museum Baden zu sehen.

"Oft schwieg er ausführlich"

"Alfred Matusche war ein scheuer Eigenbrödler, führte ein einsames Leben, unfähig und unwillig sich zu arrangieren", erinnert sich Peter Sodann in seiner Biografie "Keine halben Sachen", aus der er zur Ausstellungseröffnung las, an den Freund. "Oft schwieg er ausführlich, war manchmal so wortkarg, dass es schmerzte." Matusche habe zurückgezogen in einem Hochhaus in Karl-Marx-Stadt gelebt, dass er gehasst habe, so gut wie niemand habe seine Wohnung betreten dürfen – "er wollte nicht vom Schreiben abgelenkt werden". Er habe im Liegen geschrieben oder im Stehen, manchmal an einem kleinen Pult in seiner kleinen Wohnung, in der es nur ihn gab und seine Dramen. Die handelten von Themen, die das Misstrauen der DDR-Machthaber schürten und für das System politisch nicht repräsentabel – und damit kaum aufführbar – waren: Von der Überwindung des Faschismus, einer Faschismusbilanz, von extremen Charakteren.

"Die Begegnung mit Alfred war einer der bedeutendsten Momente meine Lebens", sagt sein Freund Sodann. Und muss für einen kurzen Moment innehalten, weil er ein "bisschen ergriffen" sei, die Ausstellung des Lebenswerks des Freundes ihn berührt habe, er vor drei Wochen noch an dessen Grab auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Ostberlin gewesen sei. Matusches letztes Drama "Van Gogh" handele von einem Künstler, dem das System, wie Matusche selbst, nicht wohl gesonnen war.

"Ich wollte dieses Stück unter allen Umständen inszenieren", blickt Sodann zurück. Im Jahr 1973 sei es ihm gelungen, "Alfred hat sich gefreut wie ein kleines Kind", die Uraufführung habe er, bereits schwer herzkrank, begleitet von Ärzten im Rollstuhl erlebt.

Wenige Wochen später starb Matusche, einsam, wie er gelebt hatte. Kurz zuvor hatte das Ministerium für Kultur ihm, dem ungeliebten Dramatiker, den hoch angesehenen Lessingpreis der DDR verliehen.

(RP)
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