Kamp-Lintfort Bohrerblick und Bärenstimme

Kamp-Lintfort · An der Ebertschule bekommen die rund 370 Kinder ganz besonderen Unterricht: Zusammen mit Coach Oliver Henneke üben sie unter dem Motto "gewaltfrei Lernen" Strategien zur Selbstbehauptung.

"Lass mich los. Lass mich jetzt endlich los!" – Florian Opitz (10) hebt die Stimme und man staunt, welches Organ sich in dem Körper des Viertklässlers versteckt hat. Anna Heidmann (10) ist der Grund für das energische Auftreten ihres Klassenkameradens: Von hinten hat sie seine Arme in den so genannten "Polizeigriff" verschränkt. "Jetzt die Schraube", ruft der Kölner Coach Oliver Henneke von der Seite in die Szenerie. Wie ein Wirbelwind dreht sich Florian aus der unliebsamen Umklammerung und steht, die Arme nun frei am Körper baumelnd, grinsend auf der Turnmatte. Jetzt lächelt auch Anna wieder, der die Anstrengung den kleinen Wirbelwind fest im Griff zu halten anzusehen ist. Coach Henneke ist zufrieden.

Seit 2007 tourt er mit seinem Team durch deutsche Klassenzimmer – gewaltfrei Lernen, Name und Motto der Veranstaltungsreihe, ist ihm dabei längst mehr geworden als nur die Buchstaben, die auf seinem Trainingsanzug prangen. Es geht darum, die Schulhöfe zu schlag- und trittfreien Zonen zu machen, Kindern andere Selbstbehauptungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen als die Faust.

Erfolge sind schon spürbar

In bewegungsintensiven Einheiten gepaart mit gezielten Übungen zur Förderung der Sprache und Ausdrucksfähigkeit, lernen die Schüler, warum Gewalt wie im Videospiel eben doch uncool ist. "Personal Skills", nennt Henneke was er den Viertklässlern mit auf den Weg geben möchte, übersetzt für sein zehnjähriges Auditorium heißt das: "Bohrerblick und Bärenstimme". "Das wirkt", freut sich Klassenlehrerin Anneliese Heister. Obwohl das Programm erst in der dritten Woche steckt, sind die Erfolge auf dem Schulhof deutlich spürbar. Solange bis einer weint – das findet nicht mehr so häufig statt, sagt die Pädagogin, die nach Ablauf des Anti Gewalt-Selbstbehauptungskurses mit ihrer Klasse fleißig weiter üben wird.

"Das machen wir jetzt schon, jeden Tag zehn Minuten", sagt sie und fügt hinzu: "Es gibt weit weniger aggressives Verhalten". Der Erfolg scheint dem Training Recht zu geben. Dass die Ebertschule es besonders nötig hätte, das findet Henneke nicht. "Wir sind in Schulen jeglicher Art, vom Gymnasium bis zur Förderschule".

Traurige Gewissheit

Je früher man die Kinder erreiche, desto wahrscheinlicher ist ein Erfolg, sagt er. Mit 70 Prozent der gecoachten Schüler an Grundschulen, stellen die Erst- bis Viertklässler allerdings den Löwen- oder wie Henneke sagen würde, den Bärenanteil. Schulleiterin Angelika Hülswitt ist überzeugt von der Arbeit. "Als wir von dem grausamen Mord am Spaßbad gelesen haben, da hatte ich die traurige Gewissheit, dass wir mit dem Training auf der richtigen Spur sind", sagt die Pädagogin. Indessen hört man Oliver Henneke aus der Turnhalle der Ebertschule, begleitet von Hurrarufen die nächsten kindgerechten Übungen ankündigen: "Gut so, und jetzt noch Rutsche und Gorilla".

(RP)
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