Mönchengladbach In der Bilanz bleibt ein Milliarden-Loch

Mönchengladbach · Der Stärkungspakt sei kein Geschenk des Landes, sagt Kämmerer Bernd Kuckels. Weil die Stadt bald keinen Nothaushalt mehr hat, kann sie stärker investieren. Kuckels: "Dabei müssen wir immer die Folgekosten im Blick haben."

Herr Kuckels, ein Plus von zehn Millionen Euro bei der Gewerbesteuer. Außerdem höhere Schlüsselzuweisungen. Und dann auch noch die Millionen-Zuschüsse aus dem Stärkungspakt. War 2012 für Sie ein gutes Jahr?

Kuckels Ja, auf jeden Fall. Insbesondere der Stärkungspakt und seine Konsolidierungshilfe geben uns einen Schub: Der Haushaltsausgleich ist jetzt wieder ein realistisches Ziel. Das wird weitere Kräfte freisetzen. Unter dem Begriff der "Vergeblichkeitsfalle" fasst man das Phänomen zusammen, dass es letztlich egal ist, wie viel gespart wird, weil die Schulden so exorbitant hoch sind.

Sind Sie dieser Falle jetzt entkommen?

Kuckels Wir haben 2009 ein Defizit von mehr als 148 Millionen Euro gehabt. Jetzt haben wir im Haushaltsentwurf eines von 74,8 Millionen Euro. Das ist natürlich immer noch dramatisch schlimm, aber zugleich eine enorme Verbesserung. Der Stärkungspakt hilft entscheidend, aus der Vergeblichkeitsfalle herauszukommen.

Er wird von der CDU aber stark kritisiert. Verstehen Sie das?

Kuckels Teile der Kritik kann ich nachvollziehen, nicht aber die Haltung gegen die freiwillige Teilnahme. Der Stärkungspakt ist nicht optimal, wir hätten uns höhere und allein vom Land und nicht auch kommunal finanzierte Hilfen gewünscht. Aber in den letzten Jahren hat keiner mehr daran geglaubt, dass wir eine solche Hilfe bekommen würden.

Weshalb gibt es sie jetzt doch?

Kuckels Es gab recht klare Signale von den Banken an die Landespolitik, dass sie so weiter steigende Kassenkredite der Kommunen nicht mehr alleine tragen könnten und das Land zeigen müsse, dass es hinter den Kommunen steht.

Zunächst klingt es gut: Das Land verteilt Geld. Aber wird nicht am Ende der Steuerzahler wieder dafür aufkommen müssen?

Kuckels Letztlich gehen wir immer mit Steuergeld um. Kein Staat kann Geld ausgeben, das nicht von den Bürgern erwirtschaftet und an ihn abgegeben worden ist. Der Stärkungspakt ist kein Geschenk des Landes. Hier wird sehr spät eine Entwicklung korrigiert, bei der Land und Bund Finanzpolitik zu Lasten der Kommunen gemacht haben.

Sie sagten oft, die Stadt sei ausgepresst wie eine Zitrone. Sind die Steuererhöhungen tatsächlich das letzte Mittel?

Kuckels Man darf nicht vergessen: Wir kürzen ja auch die Ausgaben. Aber es war von Anfang an klar, dass bei einem derartigen Defizit auch Steuererhöhungen nötig sind. Außerdem heben jetzt alle Stärkungspakt-Kommunen die Steuern an. Das relativiert das Argument des Standort-Wettbewerbs.

Viele Bürger kritisieren, die Stadt sei unfähig zu sparen ...

Kuckels Das hohe Defizit ist zum ganz überwiegenden Teil nicht hausgemacht. Das ist die falsche Entwicklung, von der ich sprach: Der Bund und die Länder geben den Kommunen zusätzliche Aufgaben ohne entsprechende Finanzierung. Es begann mit dem Anspruch auf einen Kindergartenplatz und setzt sich aktuell mit der U 3-Betreuung fort. Auch Hartz IV ist eine enorme finanzielle Belastung. Wir sind nicht gegen diese Schritte. Aber für mehr Aufgaben sollte es mehr Geld geben.

Wird die Verwaltung weitere Stellen abbauen?

Kuckels Wir sparen im Personalbereich, seitdem wir in der Haushaltssicherung sind. Also seit 1994. Wir haben das Ziel, pro Jahr noch einmal 40 Stellen einzusparen. Aber es gibt natürlich auch gegenläufige Entwicklungen: Wenn wir zum Beispiel wegen der U 3-Betreuung neue Kindergärten bauen müssen, brauchen wir dafür neues Personal.

Sie sagten vergangene Woche, dass die Stadt bald keine Nothaushalts-Kommune mehr sei ...

Kuckels ... wenn wir die Genehmigung bekommen. Aber davon gehen wir aus.

Was bedeutet das für die Stadt?

Kuckels Es bedeutet neue Freiheiten, mit denen wir aber sehr verantwortungsvoll umgehen müssen. Es ist ein Spagat: Einerseits haben wir hohe Ausgaben etwa bei den Sozialleistungen, die wir nicht beeinflussen können, andererseits müssen wir für eine attraktive Stadt sorgen. Wir stehen als Stadt im Wettbewerb. Wir müssen auch Geld in die Hand nehmen, um attraktiv zu bleiben.

Sie haben also mehr Spielraum für Investitionen?

Kuckels Rechtlich ja. Allerdings müssen wir stets nicht nur die Kosten, sondern auch die Folgekosten im Blick behalten.

Können wir uns dann also eine neue Bibliothek leisten?

Kuckels Auch das ist vor allem eine Frage der Folgekosten. Wenn man nicht nur die Brandschutzsanierung, sondern auch dauerhaft zum Beispiel bei Energie und Personal einspart, kann das funktionieren. Ich habe da aber eher Zweifel.

Sie sprachen schon von der U 3-Betreuung. Wie groß sind die Kosten, die noch auf die Stadt zukommen?

Kuckels Das kann man noch nicht sagen. Niemand kann jetzt schon den tatsächlichen Bedarf nennen. Die demografische Entwicklung ist nur schwer zu prognostizieren. Aber die Kosten sind natürlich immens. Der Rechtsanspruch auf einen U 3-Platz gilt ab August 2013.

Falls die Stadt die Quote nicht erreicht: Haben Sie schon Geld beiseitegelegt, um Eltern zu entschädigen?

Kuckels Haben wir nicht. Wir haben nichts, um es beiseitezulegen (lacht).

Wie gehen Sie mit dem Problem um?

Kuckels Wir strengen uns an, genügend Plätze einzurichten. Wir werden eine Versorgungsquote erreichen, die, erst recht für eine Nothaushaltskommune, vergleichsweise gut ist.

Der Masterplan, der gerade entwickelt wird, sieht viele Grünflächen für die Stadt vor. Dabei mussten Sie gerade bei den Parkanlagen in den vergangenen Jahren den Rotstift ansetzen. Sind die Ideen der Masterplaner realisierbar?

Kuckels Wir können uns sicherlich kein ungebremstes Wachstum bei den Grünflächen leisten. Wir haben eher Bedarf, Flächen zu begrenzen. Man wird versuchen müssen, die Ideen auf das zu reduzieren, was am Ende machbar ist. Die Grünzüge können ja auch kleiner ausfallen. Wenn die in der City-Ost vorgesehenen Büroflächen steuerstarke Unternehmen anziehen, hat das auch für einen Kämmerer Charme. Davon aber abgesehen: Auch als Nothaushalts-Kommune sollte man nicht gleich die Klappen runterlassen und sagen, es geht alles nicht. Wir brauchen Ideen. Daher begrüße ich den Masterplan.

Zurzeit hat die Stadt 1,3 Milliarden Euro Schulden. Halten Sie es für möglich, dass sie irgendwann schuldenfrei ist?

Kuckels Ich sehe nicht, dass wir schuldenfrei werden. Aber ich sehe, dass wir eine realistische Perspektive haben, die Kassenkredite einzudämmen. Die Trendumkehr zum Schulden-Abbau ist eine tolle Perspektive.

Was muss denn geschehen, damit Gladbach irgendwann einmal keine Schulden mehr hat?

Kuckels Prognostiziert ist, dass wir 2021 etwas über 1,1 Milliarden Euro Schulden haben werden. Aber dann mit ausgeglichenem Haushalt.

Das klingt nicht sehr ermutigend...

Kuckels Ausgeglichener Haushalt heißt nicht: null Schulden. Da das Ergebnis auch nicht finanzwirksame Aufwände enthält, bedeutet es, dass die Schulden reduziert werden. Das ist ein großer Schritt, da wir die Kassenkredite in stärkerem Maße abbauen können.

Werden heute 50-Jährige also noch erleben können, dass ein Gladbacher Oberbürgermeister sagt: "Wir sind schuldenfrei"?

Kuckels Nein, das glaube ich nicht. Aber wir haben die Perspektive, dass wir irgendwann wie ein ordentlicher Kaufmann Kredite haben werden, die unserer Leistungsfähigkeit entsprechen. Aber das ist ein sehr, sehr langer Weg.

Fabian Eickstädt und Dieter Weber führten das Redaktionsgespräch

(fae)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort