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Hannah von Dahlen und Mark Nierwetberg Gladbach hat den Charme des Unperfekten

Mönchengladbach · Hannah van Dahlen vom Blog "MG anders sehen" und Mark Nierwetberg vom Verein "Next-MG" sprechen über Chancen und Charme des Unperfekten und die Bereitschaft zum Scheitern. Und sie sagen, warum ein Loch im Boden auch mal eine geniale Idee sein kann.

 Sehen das Unperfekte Mönchengladbachs als Chance: Hannah von Dahlen und Mark Nierwetberg auf der Waldhausener Straße.

Sehen das Unperfekte Mönchengladbachs als Chance: Hannah von Dahlen und Mark Nierwetberg auf der Waldhausener Straße.

Foto: Isabella Raupold

Frau von Dahlen, die Atmosphäre in der Stadt hat sich verändert. Wie hip ist Mönchengladbach?

Hannah von Dahlen Der Begriff "hip" ist eigentlich ein bisschen negativ. Es gibt Hipster, aber niemand will Hipster sein. Nein, hip würde ich MG nicht nennen. Aber die Stadt hat viel Potenzial, bietet Freiräume. Sie ist nicht fertig, sie ist unperfekt. Das ist das Spannende.

Warum, glauben Sie, hadern so viele Mönchengladbacher mit ihrer Stadt?

von Dahlen Lange fehlte das Selbstbewusstsein. Man sagte nicht: "Ich bin stolz darauf, aus Mönchengladbach zu kommen." Wer sich identifiziert, macht sich angreifbar. Das ändert sich aber gerade. Als ich mit dem Blog "MG anders sehen" anfing, war ich eine von wenigen, die den Hashtag Mönchengladbach benutzten. Jetzt tun das sehr viele.

Wann kam es zu dieser Wende?

von Dahlen Es ist in den vergangenen fünf Jahren viel in Bewegung gekommen. Das wurde zum Teil von Hochschul-Initiativen wie dem Verein Waldhaus 12 oder Kulturkram von der Kreativszene ausgelöst. Die Stadt ist aufgewacht.

Herr Nierwetberg, Sie sind gebürtiger Gladbacher, waren viel unterwegs und kehrten zurück. Wie erleben Sie Stärken und Schwächen Gladbachs?

Mark Nierwetberg Die Bezeichnung "unperfekt" stimmt. Das ist das Problem der Stadt, aber auch ihr Charme und ihre Chance. Es gibt hier noch Möglichkeiten zu gestalten. Die Szene ist nicht groß, man kann viel bewegen, weil man sich kennt und vernetzt ist.

Wie wichtig ist es für eine Stadt, nicht fertig zu sein, es nicht zu werden?

Nierwetberg Die Unfertigkeit ist wirklich eine Chance, die Urbanität schaffen kann. Die Schwelle ist hier niedriger, es gibt Raum für Spontaneität und die Fallhöhe ist nicht so groß. Man kann hier einfach mal was ausprobieren.

von Dahlen In Städten wie Düsseldorf geht man mit Ideen leicht unter. Das ist in Gladbach anders.

Ist das die Chance für Start-ups?

Nierwetberg Ja, es ist leichter, Ideen in Mönchengladbach umzusetzen. Das zeigt sich auch am Verein Next-MG. Da war die Idee, Start-ups bei der Vernetzung zu helfen und die Digitalisierung in der Stadt voranzutreiben. Plötzlich ging alles sehr schnell und jetzt sind die Stadt, die Hochschule, die IHK, die Stadtsparkasse und die WFMG mit im Boot, außerdem noch Initiativen, Unternehmen und Einzelpersonen.

Welches Ziel hat Next-MG?

Nierwetberg Der Verein will die Gründerkultur fördern, die Attraktivität des Standorts Mönchengladbach erhöhen, den Prozess der digitalen Transformation unterstützen und die IT-Kompetenz in der Aus- und Weiterbildung stärken. Da ist noch sehr viel zu tun.

Wie steht die Gründerszene da?

Nierwetberg Mönchengladbach hat Potenzial und als Hochschulstandort viele Chancen. Es fehlt aber noch der Zug zum Tor, um es sportlich auszudrücken, also die wirkliche Gründung eines Start-ups. Deshalb sind Unterstützung und Vernetzung so wichtig. Es ist überall viel Bereitschaft da, es gibt Ideen, aber oft nicht genügend Expertise.

Initiativen wie die NEW-Blauschmiede scheinen ins Leere zu laufen. Warum, meinen Sie, ist das so?

Nierwetberg Geben wir dem noch etwas Zeit, die Blauschmiede war anfangs stark auf den Bereich Energie ausgerichtet. Da sind aber die Schwellen insgesamt sehr hoch. Ich denke, man würde mehr erreichen, wenn man 24 Monate Sorgenfreiheit für Menschen mit einer validen Geschäftsidee bieten würde. Im ersten Jahr hätten sie dann Zeit, einen Businessplan zu entwickeln und den dann auch vorzulegen.

Macht es überhaupt Sinn, institutionalisiert zu fördern?

Nierwetberg Sicher, die Frage ist nur, wie. Man braucht eine Kreativszene, nicht nur einen Haufen BWLer. Man muss die Leute mit den Ideen mit denen zusammenbringen, die wissen, wie man Ideen umsetzt. Das kann gelingen, indem man die Hochschule mit den kommunalen Institutionen und den Unternehmen vernetzt. Das ist als Triple Helix bekannt.

Silicon Valley ist eine Ikone. Was kann Gladbach davon lernen?

Nierwetberg Puh, hoher Anspruch. Aber an innovativen Orten gibt es immer eine Szene, die offen füreinander ist, die sich austauscht, eine große Wissensbasis und kurze Wege. Das eröffnet Möglichkeiten. Die heutigen Gründer sind nicht mehr die aus dem Industriezeitalter. Es gibt eine andere Idee von Unternehmertum. Man probiert etwas aus, man kann auch schnell scheitern und zieht seine Erfahrungen daraus. Das Erste, was Next-MG tun wird, ist eine Webseite mit allen Angebote aufzubauen und an Vernetzung zu arbeiten.

Wie sagen Sie traditionellen Gladbachern, dass Start-ups wichtig sind?

Nierwetberg Durch solche jungen Unternehmen entsteht Beschäftigung, und zwar solche, bei der nicht nur Mindestlohn gezahlt wird. Die Zeit der großen Industriegründungen ist vorbei. Man muss heute die IT-Leute kriegen. Nur mit Jobs in der Logistik halten wir kaum jemanden nach dem Studium in der Stadt. Deshalb ist es auch gut, dass wir einen sehr engagierten Lehrer bei Next-MG haben, der am Gymnasium am Geroweiher eine sehr erfolgreiche Informatik-AG anbietet. Auf Dauer müssen und wollen wir die Kompetenz der Gladbacher im Zukunftsfeld Digitalisierung stärken.

Muss Mönchengladbach zur Marke werden? Wie wirbt man um Köpfe?

von Dahlen Vieles in der Stadt ist von Studierenden angestoßen worden. Besonders die Kulturpädagogen sind in Projekten und Vereinen wie Margarethengarten oder Waldhaus 12 sehr aktiv. Aber es gibt letztendlich für sie keine Jobs in der Stadt, weshalb sie Gladbach nach dem Studium wieder verlassen. Diese Leute muss man halten.

Nierwetberg Gladbach ist keine Premiummarke, aber das ist gerade die Chance. Die Stadt muss damit werben, unperfekt zu sein. Solche Möglichkeiten wie das Fashion Hotel sind großartig. Dort können sich lokale Marken präsentieren und Ideen umgesetzt werden. Ein Künstler hatte dort ein Loch in den Boden geschlagen. Erst haben alle die Stirn gerunzelt, und jetzt hat man es einfach mit einbezogen und stellt fest, dass das eine geile Idee war. Diese Stadt bietet solche Möglichkeiten, in Düsseldorf geht das nicht.

Mönchengladbach ist ein langer, für Ausländer unaussprechlicher Name.

Nierwetberg Für die 140 Zeichen auf Twitter ist der Name natürlich schwierig, aber ich kenne einige Amerikaner, für die Mönchengladbach - Monkenglädbäck - sehr exotisch klingt. Eine exotische Stadt mit einem Bundesligaverein.

von Dahlen Man kann ja auch MG oder Gladbach benutzen. Selbst die Bezeichnung MG Action Town, die ursprünglich ironisch gemeint war, weil nie etwas passierte, hat sich gewandelt und wird heute positiv verwendet.

"Wachsende Stadt" ist derzeit ein viel verwendeter Slogan. Was kann man tun, um Menschen anzulocken?

Nierwetberg Man sollte nicht mit dem Marketing anfangen. Man muss erst mal etwas haben, dann damit werben. Die Leute wollen da sein, wo etwas passiert. Urbanisierung ist ein Begriff, der immer mehr an Bedeutung gewinnt. Damit kann die Stadt punkten. Und wir machen zu wenig aus dem, was wir haben, etwa dem Museum Abteiberg.

von Dahlen Es ist heute schon nicht mehr so wie früher. Viele, die weggegangen sind, kommen zurück, weil sich was bewegt. Man muss das allerdings auch zeigen. Und zwar auf Medien wie Instagram und Facebook. Das ist genau das, was ich mit "MG anders sehen" seit fünf Jahren ehrenamtlich für Gladbach mache.

Nierwetberg "MG anders sehen" ist ein Geschenk an die Stadt, das ist sicher. Mönchengladbach sollte eigentlich auf der eigenen Homepage alles verlinken. Es geht darum, solche Aktivitäten zuzulassen und zu unterstützen.

Welche Zukunftswünsche haben Sie?

von Dahlen Erst einmal bin ich froh, dass es heute einen städtischen Topf gibt, aus dem man Mittel bekommen kann, um kreative Ideen umzusetzen. Ich hoffe, dass das so bleibt. Wünschen würde ich mir einen Ort, an dem jeder Kreative seine Arbeiten ausstellen kann.

Nierwetberg Es ist viel passiert, das von der Kreativszene angestoßen wurde und das man unter dem Begriff Public Private Partnership zusammenfassen kann. Das ist gut. Ich würde mir wünschen, dass Kreativprojekte als Treibstoff für Entwicklung ernstgenommen werden und nicht nur Lückenbüßer sind.

ANGELA RIETDORF, DENISA RICHTERS UND JAN SCHNETTLER FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

(RP)
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