Mönchengladbach Gladbach: Das neue "Wir"-Gefühl

Mönchengladbach · Noch immer veröffentlichen im Sekundentakt Mönchengladbacher ihre Kindheitserinnerungen auf einer Facebook-Seite. Inzwischen sind es bereits mehr als 23 000 Menschen, die ihre Heimat feiern. Der Hype verrät viel über eine Stadt, die sich gerade neu entdeckt.

Ja, auch ich bin infiziert. Ich bin einer der inzwischen mehr als 23 000 Gladbacher, die die Facebook-Seite "Du bist Mönchengladbacher, wenn..." teils bis spät in die Nacht in ihren Bann zieht. Man kennt nur einen Bruchteil jener, die dort schreiben, persönlich. Es sind Fremde, die als alte Freunde sprechen. Plötzlich erinnert man sich wieder an die Spielwarengeschäfte, deren Schaufenster einem als Kind das Staunen lehrten, an den Plattenladen, der einem die erste CD verkaufte, an flirrende Sommer in den Schwimmbädern und Parks der Stadt, an die Kneipen in der Altstadt, in denen ein Kuss oder nur das Halten einer Hand die Zeit bis zum Morgengrauen stillstehen ließ, andeutete, was es mit der Ewigkeit auf sich haben könnte.

Erst vergangenen Samstag gründete der nach vielen Jahren heimgekehrte Mönchengladbacher Peter Brose die Internetgruppe. Noch nie zuvor verzeichnete eine Seite über die Vitusstadt einen derart rasanten Mitgliederzuwachs. Sicher, im Internet ist vieles Hype, vieles gleicht einem Streichholz im Wind. Vielleicht spricht binnen Monatsfrist niemand mehr darüber, welche Erinnerungen die Gladbacher prägen. Vielleicht ist der Rausch schon in Tagen vorüber, wenn die Erkenntnis sich regt, dass die Vergangenheit oft nur im Rückblick makellos ist. Und doch verrät diese Internetseite viel über den gegenwärtigen Zustand der Stadt, über die seelische Verfassung der Gladbacher.

Hunderte Gründe sind dort zu lesen, warum es sich lohnte, hier aufzuwachsen. "Das waren noch Zeiten", heißt es häufig. Die Wehmut beherrscht die Kommentare. Zigtausende Mönchengladbacher haben sich auf die Suche nach ihrer Identität begeben. Sie fanden Wurzeln. Zu hoffen ist, dass manche noch etwas anderes entdecken. Gründerzeitviertel, Altstadt-Initiative, Horst-Festival, Margarethengarten, Hockeypark, Kulturnacht, Greta und Claus — die Beispiele sind inzwischen zahllos, die für einen Wandel in der Stadt stehen.

Hinter ihm stehen Köpfe, die schon vor Monaten, vor Jahren spürten, dass es sich lohnt, für diese Stadt zu kämpfen. Nicht nur auf Facebook, sondern draußen auf der Straße, in den Büros der Politiker, Unternehmer und Immobilienfirmen. An vielen Orten in der Stadt entsteht Neues: Die Arcaden werden gebaut, die Rheydter Innenstadt für Millionen Euro modernisiert, ein Masterplan entworfen, die Kliniken wachsen, Borussia investiert.

Gerade jetzt also ist der richtige Zeitpunkt, sich für diese Stadt zu engagieren. Selbst wenn es nur damit beginnt, spät in der Nacht die Treppen zum Sandrad hinabzusteigen, anzuklopfen, den Wirt, genannt "Jesus", um ein Wasser zu bitten — und ein Bier serviert zu bekommen. Du bist nämlich nur Mönchengladbacher, wenn du weißt, dass Jesus auch in einer Kneipe heimisch ist.

(RP)
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