Krefeld Ein großer Theaterabend mit Lola Blau

Krefeld · Das Publikum feiert Gabriela Kuhn und Karten Seefing für ihren Kreisler-Abend – zwei Stunden zwischen Abgrund und Poesie.

 Das rote Pailettenkleid trägt Lola (Gabriela Kuhn) noch von ihrem Showaufritt in Amerika. Doch die Miene verrät: übers Telefon kommen wieder beängstigende Neuigkeiten.

Das rote Pailettenkleid trägt Lola (Gabriela Kuhn) noch von ihrem Showaufritt in Amerika. Doch die Miene verrät: übers Telefon kommen wieder beängstigende Neuigkeiten.

Foto: Matthias Stutte

Das Publikum feiert Gabriela Kuhn und Karten Seefing für ihren Kreisler-Abend — zwei Stunden zwischen Abgrund und Poesie.

Im Musikensemble singt Gabriela Kuhn meist Nebenrollen, da ist sie die Sympathisch-Drollige vom Dienst. Das liegt ihr. Dass sie weitaus mehr kann, als komisch, patent und niedlich sein, beweist sie mit Georg Kreislers "Musical für eine Darstellerin": In der Fabrik Heeder hatte jetzt "Heute Abend: Lola Blau" Premiere. Und da trägt siestimmlich und schauspielerisch einen ganzen Abend, gemeinsam mit Karsten Seefing am Klavier.

Sie hat die Rolle drauf, die in der Inszenierung von Jürgen Pöckel (2007 für Schleswig-Holsteinische Landestheater produziert) vor drei Jahren nach Gladbach kam — und zum Publikumsrenner wurde. Sie ist Lola, das Alter Ego Kreislers: eine Sängerin, die im Vorkriegs-Österreich mit Auftrittsverbot belegt wird. Nett und zunächst ein bisschen blauäugig hockt sie in einem schäbigen Pensionszimmer zwischen Telefonen, über die fast ausschließlich schlechte Nachrichten kommen, und Koffern, die ihre Heimatlosigkeit spiegeln. Auch wenn sie flüchtet, zunächst in die Schweiz, wo ihr ebenfalls die "Ausschaffung" droht und später nach Amerika, wo sie Karriere macht als leichtlebige Muse: Ein Zuhause wird sie nicht finden, denn die Rolle auf der Bühne ist Spiel, innere Leere lässt sich mit Alkohol nicht füllen.

Es ist mehr als ein Chanson-Abend. Die Inszenierung fängt die Doppelbödigkeit Kreislers ein — das unterschwellig Gruselige des Nationalsozialismus, das immer offensichtlicher zutage tretende Grauen und die stetig schwacher leuchtende Hoffnung auf ein kleines Fünkchen Glück im großen Elend, den lange kaum erschütterbaren Willen, sich nun erst recht nochmal zu amüsieren. Aus dem Off wird die Außenwelt eingeblendet: Stimmen und historische Tondokumente wie Hitlers: "Seit 5.45 Uhr wird zurückgeschossen", marschierende Soldatenstiefel und Propaganda. Auf die verschiebbaren Bühnensäulen wirft der Beamer die Kulisse, das schäbige Pensionszimmer, den weiten blauen Himmel bei der Überfahrt in die USA.

Gabriela Kuhn und Karsten Seefing beherrschen den Wechsel zwischen den Ebenen — das musicalartig Schmissige, das Lola auf der Bühne zeigt, und die nagende Angst und Verbitterung in der Einsamkeit nach dem Auftritt vor dem jubelnden Publikum.

In seinem 1971 in Wien uraufgeführten "Musical für eine Darstellerin" betextet Kreisler den Nationalsozialismus oft unterschwellig und schwarz-gallig, aber auch mit einer Gänsehaut erzeugenden Poesie: "Wenn man allen alles sagen könnte, was man alles sagen könnte" und das jiddische Loblied auf "ein herrliches Weib" gibt es ebenso wie das bitterböse "Papa war Antisemit" und das melancholische "Heute fand ich alte Tränen". Wie Lola nach ihrer Rückkehr aus dem Exil in Österreich nicht mehr Fuß fassen kann, weil "alle von nichts gewusst haben" und die Theaterdirektoren keine brauchen, die Schwejk und Brecht kann, die als pratersüßes Madel trällern, die Pariser Salondame geben, das Gulasch-Temperament der Operetten-Ungarin versprühen kann, das bringt Kuhn mit vielen Facetten zur Geltung. Sie spiegelt alles mit wandelbarer Stimme, die Energie und makellosen Glanz über zwei Stunden hält. Und auch in der Mimik lässt sich das Gefühls-Pingpong ablesen. Dass sie vor der Flucht noch den mickrigen Gummibaum in der Stube gießt, ist eine der rührenden Stellen. Bei ihrem tieftraurigen Abschiedslied "Tralala, so ist das Leben" ist es mucksmäuschenstill im Saal. Spätestens nun ist klar, dass es kein gutes Ende geben wird.

Das Publikum spendete langen Beifall.

(RP)
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