Kranenburg Ein Wunder im Bürgermeisteramt

Kranenburg · Vor 70 Jahren: Auch das Kranenburger Rathaus wurde damals evakuiert. Die Verwaltung zog sich etappenweise zurück.

 Das Kranenburger Rathaus wurde unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg gebaut, ist also gerade 100 Jahre alt. Erweitert wurde die Verwaltungszentrale in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts.

Das Kranenburger Rathaus wurde unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg gebaut, ist also gerade 100 Jahre alt. Erweitert wurde die Verwaltungszentrale in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts.

Foto: Gemeindearchiv Kranenburg

Heutzutage haben alle Rathäuser an Sonn- und Feiertagen geschlossen - sofern nicht eine Sonderveranstaltung ansteht. Sollte wegen eines Betriebsausflugs oder aus einem anderen triftigen Grund dort niemand zu erreichen sein, weisen Presse oder Lokalfunk im Voraus auf derartige Ausnahmen hin. Doch vor nunmehr 70 Jahren, im letzten Kriegswinter 1944/1945, war das Kranenburger Verwaltungsgebäude für alle zivilen Angelegenheiten ein halbes Jahr dicht.

Vier Wochen nach der alliierten Luftlandung auf den Höhenzügen in Groesbeek und Wyler am 17. September 1944 hatten alle Einwohner im frontnahen Bereich Haus und Heimat zu verlassen und irgendwo eine Bleibe außerhalb der Kampfzone zu suchen. Nach dem 15. Oktober durften sich Zivilisten in der grenznahen Zone des Altkreises Kleve nur noch mit einem Sonderausweis sehen lassen, um daheim noch einiges für ihre neue Unterkunft zu holen. Schließlich war man oft Hals über Kopf geflüchtet. Übrigens erfasste der Räumungsbefehl in kurzer Zeit die meisten Ortschaften im linksniederrheinischen Grenzbereich, so am 1. Dezember Straelen.

 Um 1930: Bedienstete des Kranenburger Rathauses vor dem Amtsgebäude.

Um 1930: Bedienstete des Kranenburger Rathauses vor dem Amtsgebäude.

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Nach dem Weggang der Bewohner waren manche Behörden nicht mehr gefragt. Von großer Wichtigkeit waren damals die Abmeldungen, um am neuen Wohnort Lebensmittelkarten und Bezugsscheine zu erhalten.

Die Kranenburger Verwaltung musste damals ebenfalls auf Wanderschaft. Ein Angestellter jener Jahre hat den mehrmaligen Weiterzug der Rathaus-Beschäftigten skizzenhaft festgehalten. Der Einblick in diese Unterlagen animierte zu einem kurzen Rückblick. Vorausschicken muss man, dass sich damals im Rathaus eine Amtsverwaltung befand, die für die frühere kleinere Kommune Kranenburg arbeitete, aber ebenso für die zu jener Zeit noch selbstständigen Gemeinden Wyler und Zyfflich tätig war. Mit Mehr und Niel wurden bei der Kommunalreform 1969 zwei ebenfalls eigenständige Orte aus dem ehemaligen Amtsbezirk Rindern (vormals Keeken-Niel) der Großgemeinde Kranenburg zugeordnet. Seitdem gibt es nur noch einen Gemeinde-Bürgermeister und eine Ratsvertretung.

Am 27. Oktober 1944 befinden sich beide genannten Ämter in Grieth in einem Schulraum. Ausgestellt werden einige Abreisebescheinigungen. Am 4. Dezember wird vermerkt, dass man bei einem Besuch in Kranenburg Einbrüche durch die Wehrmacht festgestellt habe. Zur Monatsmitte war man mit dem Wagen im Grenzstädtchen und hatte zuvor Trommelfeuer überstanden. Man kam auch heil wieder aus Kranenburg heraus.

Der Chronist scheint noch an den Endsieg zu glauben, denn er schreibt am 27. Januar 1945: "Die Lage im Osten muss sich erst stabilisieren. Wir haben noch immer zu viel von diesen Verrätern und Großmäulern, die gegen uns arbeiten. Mit Waffen sind wir wohl nicht zu schlagen!" Seine Parole: "Durchhalten, warten auf Kriegsende und Frieden."

Am 7. März sind beide Ämter in Dinslaken-Hiesfeld stationiert. Bis hierhin und bis nach Oberhausen schieße "der Tommy" bereits. Vergeblich war ein Versuch, mit dem Rad nach Kalkar und Grieth zu kommen. Alles um Grieth stehe unter Wasser, weil der Deich gesprengt worden sei.

Drei Wochen ohne Job. Dann wollte der Angestellte nochmals nach Grieth, aber in Grietherort erfuhr er, dass "der Tommy" gerade in dieses Fischerdorf einmarschiert sei. Nach Mitternacht gelangte er wieder nach Schermbeck zurück, wo mehrere Mitarbeiter der Kranenburger Verwaltung verweilten, unter ihnen Bürgermeister Salzmann wie der Nachkriegs-Amtsdirektor Erkens. "Wir kommen uns vor wie eine Exil-Regierung ohne Land und Leute!" Gesuche an den Landrat, die Bediensteten gehen zu lassen, blieben ohne Erfolg. Rechtsrheinisch wurden über die Eroberer der linken Rheinseite allerlei Greueltaten berichtet, wie man sie hier nicht gehört hat.

Nach dem Frontübergang wurden von den Briten ein provisorischer Rat und ein Verwaltungsteam unter Bürgermeister Leo Tepas eingesetzt. Über die Geschichte des gerade 100 Jahre alten Rathauses ist wenig bekannt. Übrigens wurde von 1851 bis 1873 die Verwaltung 22 Jahre lang von einem Wunder regiert. Des Bürgermeisters Vorname war Franz-Joseph, geboren 1811 in Elberfeld, gestorben mit 67 Jahren in Cranenburg. Sein Sekretär dürfte zeitweise Peter-Heinrich Thielen gewesen sein, der 1874 als Kirchenmusiker nach Goch wechselte und auch als Komponist sich einen Namen machte.

(RP)
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