Hückeswagen Ein Mensch erster Klasse

Hückeswagen · Für Martin Wiecorek wird das, was er rückblickend als seine ganz persönliche Auferstehung empfindet, für immer mit einem Abend im Winter verbunden sein: Es war der Abend, als er das letzte Bier trank. Heute hilft der trockene Alkoholiker anderen Suchtkranken.

 Heute genießt Martin Wiecorek nach der Arbeit seine Apfelschorle. Das "Feierabend-Bier" gibt's nicht mehr. Abschalten vom Alltag kann der Hückeswagener heute beim Sport, den Alkohol braucht er dazu nicht mehr.

Heute genießt Martin Wiecorek nach der Arbeit seine Apfelschorle. Das "Feierabend-Bier" gibt's nicht mehr. Abschalten vom Alltag kann der Hückeswagener heute beim Sport, den Alkohol braucht er dazu nicht mehr.

Foto: Dö (Archiv)

11. Januar 2008: Es klingelt an der Haustür von Martin Wiecorek am Schwarzen Weg. Davor steht sein Sohn. Und der sieht den Vater so betrunken wie nie zuvor. Der Sohn ist schockiert, der Vater auch. Der Besuch trifft ihn unvorbereitet. Die Scham über die eigene Trunkenheit ist übermächtig. Das ist die Situation, in der der heute 58-Jährige den Beschluss fasst, der sein Leben ändert: Schluss mit dem Alkohol — für immer. "Ja, das war schon so etwas wie meine Auferstehung, eine aus der Alkohol-Hölle, in der ich gefangen war, ohne mir das bis zu diesem Abend selbst einzugestehen", sagt der Versicherungskaufmann rückblickend.

Zur Entgiftung und in Therapie ist Martin Wiecorek vor nun gut vier Jahren nicht gegangen. Aber zu seinem Hausarzt. Der machte ihm unmissverständlich klar, dass "ein bisschen trinken" für einen Alkoholkranken kein gangbarer Weg ist, dass nur die totale Abstinenz in ein "trockenes" Leben führt. "Dr. Moussa ist immer für mich da gewesen, ich hätte ihn auch in der Nacht anrufen können, wenn die Sehnsucht nach Alkohol übermächtig geworden wäre", sagt Wiecorek. Und ergänzt: "Sucht ist eben nicht heilbar, sondern nur durch Abstinenz vom Suchtstoff einzudämmen." Er hat sich nach dem Abend im Januar 2008 intensiv nicht nur mit der eigenen Suchtgeschichte auseinander gesetzt, sondern allgemein mit der Problematik der Krankheit. Das machte er allein, parallel dazu aber auch in der christlich orientierten Selbsthilfegruppe "Blaues Kreuz". Zusammen mit Siegfried Heinrich gründete Wiecorek im Herbst 2008 die Hückeswagener Ortsgruppe, die sich regelmäßig montags in der Kreuzkirche trifft. Außerdem hat er eine Ausbildung zum Suchtkranken-Helfer gemacht.

In der Gruppe geht es darum, Alkoholkranken Wege aufzuzeigen, wie sie ihr Leben neu gestalten, die durch die Abstinenz gewonnenen Freiräume sinnvoll ausfüllen können. "Es ist wichtig, andere Strukturen zu entwickeln", weiß Wiecorek. Auch ein selbstbestimmtes Leben müsse erst erlernt werden. Im Blauen Kreuz helfen sich die Gruppen-Mitglieder dabei gegenseitig, geben auch seelische Unterstützung, wenn ein Rückfall droht. "Die Sucht geht nie vorbei. Wir müssen ihr unseren festen Wunsch und Willen entgegen stellen und brauchen dabei eben manchmal die Hilfe anderer Menschen", sagt der Hückeswagener. Aber Martin Wiecorek weiß auch um die Grenzen, die der Gruppe gesetzt sind: "Wir können niemanden trocken legen. Wir können ihn nur auf dem Weg in eine zufrieden gelebte Abstinenz begleiten."

Das geht nach Wiecoreks Erfahrung auch durch Ermutigung. Ihm selbst hat ein Text von Friedrich von Bodelschwingh immer wieder Mut gemacht. Der berühmte evangelische Theologe schrieb:

"Wenn Du einem geretteten Trinker begegnest, dann begegnest Du einem Helden. Es lauert in ihm schlafend der Todfeind. Er bleibt behaftet mit seiner Schwäche und setzt nun den Weg fort durch eine Welt der Trinksitten, in einer Umgebung, die sich für berechtigt hält, in jämmerlicher Unwissenheit auf ihn herabzuschauen als auf einen Menschen zweiter Klasse, weil er es wagt, gegen den Alkoholstrom zu schwimmen. Du sollst wissen: Er ist ein Mensch erster Klasse."

(RP)
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