Goch Wandel auf dem Thelenhof

Goch · Längst ist Annabel von Arnims Thelenhof im Uedemer Bruch zum bekannten Roman-Schauplatz geworden. Nun: der lange erwartete "richtige" Nachfolger ihres Erstlings, nach der "Farbe der Erde" die "Lebensfarben".

Vorbei das erholsame Wannenbad. Alarm. Eine Nachbarin ruft aus dem Wohnzimmer, es eilt. Annabel Gräfin von Arnim torkelt aus der Wanne, zieht sich irgend etwas an. Vor Angst ist ihr schwindlig. Sie steigt ins Auto. Quälend lange Fahrminuten bis zum Nachbarhof. Schon wieder hat ihr Ehemann Hubert einen Unfall gehabt. Die Folgen des verhängnisvollen Malheurs beim Reiten sind noch nicht verheilt — nun hat ihn erneut ein Pferd zu Boden gebracht.

Karneval im Notarztwagen

Angst. Panik. Erlebnisse, wie man sie so nur am Niederrhein haben kann: Später, ihr Mann liegt längst im Krankenhaus, will die Hausherrin des Thelenhofs im Uedemer Bruch ihn im Klever Krankenhaus besuchen. Ach, Rosenmontag! Sie hatte es ganz vergessen. Stau, kein Durchkommen in Keppeln. Fröhliche Menschen reichen ihr freundlich "en Schnäpsken" an, singen, fordern sie zum Mitmachen auf. Annabel nimmt es irgendwie wahr, wie durch Milchglas. Erst am Bett ihres Mannes im Klever Hospital ist sie wieder ganz im Hier und Jetzt.

Die Angst, die Trauer auch. Und die Freude. Stiefsohn Olivier, von Hubert, Annabels zweitem Mann, mit in die Ehe und an den Niederrhein gebracht, mischte bald ganz Uedem auf. Rasend schnell lernte der junge Franzose akzentfreies Deutsch, die Zahl seiner Kontakte kaum überschaubar, die seiner Liebschaften wohl bald auch nicht mehr. Wie Annabel Gräfin von Arnim Huberts Entrüstung angesichts überraschender Begegnungen im Pferdestall mit jungen Damen schildert: "Sie hat mich nicht gegrüßt!"

Wie sie beschreibt, dass Olivier bei ambitionierten "Fahrversuchen" mit dem Geländewagen der Familie nicht nur das Gefährt, sondern auch noch einen Baum ramponierte — köstlich, voller Situationskomik. Aber Olivier führte zu noch mehr Begegnungen. Die mit Nachbarn nämlich, die abends voll des Zornes anrückten und Schadenersatz für zerstochene Reifen forderten. Dass dieser Abend dann von den Verhandlungen rasch in den gemütlichen Teil mit Käse, Bier und anderen "geistigen Getränken" überging — angesichts der Geselligkeit der Uedemerbrucher war das eigentlich klar.

Eine ganze Welt tut sich auf

Aber so, wie Annabel von Arnim auch das schildert, tut sich wieder eine ganze Welt auf. Die bäuerliche nämlich, die es, trotz aller Hochtechnisierung, immer noch gibt. Nie wird "die Gräfin vom Thelenhof", die mit ihrer "Farbe der Erde" zur Bestsellerautorin des Duisburger Mercator-Verlags avancierte, die tiefe Liebe zu dieser bäuerlichen Welt verlieren.

Mit einem Auge fürs Detail, für scheinbar Nebensächliches schildert sie den (eigentlichen) Untergang des "alten" Landlebens und macht doch deutlich, dass es das "neue Landleben" gibt. Irgendwie ganz anders, aber irgendwie auch genau so wie früher. Und: Sie erzählt vom Loslassen. Wer sein Lebtag fürs Überleben, fürs Wohlergehen und den Fortbestand des eigenen Hofes sich endlose Stunden den Rücken krumm gemacht, geschwitzt, gekämpft und zumindest sommers fast rund um die Uhr gearbeitet hat, der tut das nicht "einfach so" — aufs Altenteil ziehen.

Aber Annabel von Arnim und ihr Mann halten die leise Melancholie, die das mit sich bringt, aus. Mit Haltung und mit Freude. Darüber, dass ihre Tochter die Familientradition weiterführt. Ganz anders. Aber richtig.

"Lebensfarben" — der Nachfolger der "Farbe der Erde", lange erwartet. Ein Buch mit ganz unterschiedlichen Erzählungen, die die Gabe der Autorin zeigen, ganz unterschiedlich zu schreiben. Anders — aber immer unverwechselbar.

Längst hat Annabel Gräfin von Arnim ihren Stil gefunden. Und eine große Fangemeinde am gesamten Niederrhein. Mit Gefühl, mit der ihr eigenen Beobachtungsgabe, ihrer Art, die Dinge, wie sie eben so sind, zu schildern, hat sie Zigtausende von Lesern begeistert, die lange auf ihren zweiten Erzählband gewartet haben. Auf prallen Niederrhein, so, wie er ist, ohne Verklärung, ohne Idealisierung. Aber mit unendlich viel Liebe. Ein wunderbares Buch.

(RP)
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