Düsseldorf Harvest: Tanzmix aus zwei Stilen, die von der Straße kommen

Düsseldorf · Anfangs sitzen die Tänzer still auf einem knorrigen Baumstamm, grellweiß beleuchtet von sechs sterilen Neonröhren, die ringsum in einem präzisen Halbkreis aufgestellt sind. Dazu ein durchdringendes Röhren von Bässen, wie das Heranrollen eines Gewitters. Dann springen die Performer auf, formen mit fließenden Streetdance-Moves einen Kreis, fiebrig und beschwörend wie in einem archaischen Ritual. Es ist ein faszinierendes Bild, bei dem nichts zusammenpasst und doch alles. Als hätte sich eine Gruppe Stammestänzer bei Nacht auf ein urbanes Fabrikgelände verirrt.

Man hätte sich bei der deutschen Erstaufführung von "Harvest" (übersetzt: "Ernte") im Tanzhaus NRW fragen können, wie jemand auf die Idee kommen kann, trendigen HipHop mit Traditionstänzen aus dem südamerikanischen Staat Suriname zu kreuzen. Aber bei der niederländischen Choreografin Alida Dors liegt das sogar nahe. Die Hip-Hop-Tänzerin und Leiterin der Amsterdamer Tanzgruppe "Backbone" hat surinamische Wurzeln, zudem verwebt sie in ihren Produktionen gern gegensätzliche Stile miteinander.

Eins haben surinamische Folklore und HipHop immerhin gemeinsam: Beide wurden auf der Straße geboren. Dors sucht nach ihrer gemeinsamen Essenz, dafür reduziert sie, wo es nur geht. Vier Tänzer, zwei Musiker, Flöte und pulsierende Percussion und dieser wummernde Trancesound, mehr nicht. Und die Grenzen zwischen Streetdance und Folklore, Videoästhetik und Tradition verschwimmen. Das exzellente Ensemble tanzt sich durch die ganze Bandbreite menschlicher Gefühle, Angst, Aggression, Einsamkeit, Spaß. Es ist ein reines Vergnügen, ihnen zuzusehen. Doch gleichzeitig ist Dors' minimalistische Stilverschmelzung viel mehr als gute Unterhaltung - dahinter wird ihr Drang spürbar, aus zwei Kulturen das Beste zu ernten. Zu zeigen, dass das nicht nur funktioniert, sondern im besten Fall etwas Neues und Einzigartiges ergibt.

Am Ende stecken die Performer die Neonröhren kreuz und quer in den Baumstamm wie Äste. Und Dors' kulturelle Fusion erntet begeisterten Applaus.

(RP)
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