Susanne Hertsch Werke aus dunklen Stunden

Düsseldorf · Susanne Hertsch hat schon immer Kunst gemacht. Nun zeigt die 55-Jährige erstmals ihre Werke im Heaven7 in Flingern.

 Künstlerin Susanne Hertsch bei der Arbeit.

Künstlerin Susanne Hertsch bei der Arbeit.

Foto: Peter Podkowik

Künstler machen ihre Kunst zunächst mal für sich selbst. Sagen sie jedenfalls. Aber natürlich brauchen die allermeisten auch das Publikum. Im Auge, Ohr und nicht zuletzt im Hirn des Betrachters entwickelt sich das Werk schließlich autonom weiter. Und auch der Applaus, der bestenfalls gespendet wird, spielt eine nicht ganz unwesentliche Rolle. Für die meisten jedenfalls.

Susanne Hertsch ist, was das und vieles andere angeht, die Ausnahme von der Regel. Die 55-Jährige hat immer kreativ gearbeitet, so lange sie denken kann. Seit vielen Jahren entwirft die Düsseldorferin, die auf der Kiefernstraße wohnt, die Bühnengarderobe für die Toten Hosen. Hertsch hat Performance-Kunst-Projekte gemacht. War als Filmausstatterin tätig.

Und dann gibt es da noch den anderen, bisher nicht öffentlichen Teil ihres Werks. Zeichnungen, Fotos, Collagen und Objekte, die sie niemandem gezeigt hat. Die sie für sich haben wollte, bis sie irgendwann in Kisten verschwanden. Die Kisten kamen in den Keller. Oder auf den Speicher. Angerührt hat sie sie nicht mehr. Auch weil vieles davon in den eher dunklen Stunden ihres Lebens entstanden war. Mit Schmerz zu tun hatte. Mit Angst. Oder mit Einsamkeit. „Die dunkle Seite der Menschen interessiert mich sehr“, sagt Hertsch, „auch weil sie so häufig versteckt wird.“

Anfang des Jahres beschloss sie, die Kisten, von denen sie selber nicht mehr so recht wusste, was drin war, zu öffnen. Sie ging die alten Arbeiten Stück für Stück durch. Mit manchem, was sie vor langer Zeit geschaffen hatte, konnte sie nichts mehr anfangen. Anderes berührte sie, beschwor Situationen und Gefühle herauf, die sie fast vergessen hatte. So begann die Arbeit an ihrer Ausstellung „Rococo intim“, der ersten überhaupt in ihrem ganzen Leben.

Drei Tage nach der Vernissage sitzt Hertsch im Flingeraner Friseursalon Heaven7 inmitten ihrer Arbeiten. Vor ihr dampft ein heißer Tee. Gut gegen die Kälte vor dem Fenster. Die Anspannung der Eröffnung ist von ihr abgefallen. Hertsch hat keine Rede gehalten, natürlich nicht. Sie hat Prosecco getrunken. Sie hat sich von ihrem Bruder bei der Wahl des Outfits für diesen sehr besonderen Anlass beraten lassen. Eine Kombi aus Jeans und Seidenbluse ist es letztendlich geworden. Als sie noch dabei war, die Preisliste zu schreiben, kamen schon die ersten Vernissage-Gäste. Nun prangen an sieben ihrer Arbeiten rote Punkte, unter anderem an dem Vogel aus Ton, der eine Art Dornenkrone aus feinen Silberfäden trägt und den sie eigentlich gar nicht verkaufen wollte. „Zu persönlich“, sagt sie.

Persönlich sind die Arbeiten von Susanne Hertsch allesamt. Egal ob es nun der riesige Scherenschnitt ist, der aus einer Telefonkritzelei entstanden ist; die Keramikarbeiten, die winzigen, feinen Zeichnungen, die Collagen oder das mit Sticknadeln versehene Schwemmholz aus dem Rhein, das im Heaven7 unter „Seehofers Schwänzchen“ firmiert.

Hertschs Materialien sind häufig Fundstücke. Äste, Schuhe ohne Gegenstück, ein verschnörkelter Bilderrahmen, Lederbänder, Schafswolle. Und dann sind da noch jene großen Blätter, die sie bei Spaziergängen im Volksgarten an der Uferböschung der Düssel abgeschnitten hat. Gewöhnliche Pestwurz, so heißt die Pflanze. Deren Stängel hat sie mit Zahnstochern durchbohrt. Die Blätter mit Lederbändern umwickelt. Wie einen Mantel um Pampelmusen gelegt. Oder um Schafswolle, die dort, wo die Blätter Schneckenfraß haben, nun herauslugt. „Die Blätter wurden zu meiner Haut“, sagt Hertsch.

Entsprechend vorsichtig ertastet der Betrachter die fragilen Objekte – ein Drang, dem man einfach nachgeben muss. Eine Form, die dabei immer wieder auftaucht, ist die der Vagina. Die Künstlerin weißt explizit darauf hin. „Meine Arbeiten haben viel mit Sex zu tun“, sagt sie. „Das ist ja das, was alle Menschen berührt.“ Kurze Pause. „Oder?“

Für ihre Einladungskarte hat sie ein Foto ausgewählt, das sie aus dem Flugzeug gemacht hat. Über Nepal. Ob der Berg, den sie abgelichtet hat, der Mount Everest ist? Sie weiß es nicht. Und sie hat nicht versucht, es herauszufinden. „Ich habe immer sehr unbewusst gearbeitet, verspielt.“ Der intellektuelle Überbau, den zu konstruieren man lernt, wenn man eine Kunsthochschule besucht, ist Hertsch fremd. Ihre Arbeiten sind ihr Leben. Eine professionelle Distanz dazu gibt es nicht. Sie weiß das. Deshalb ist sie sehr vorsichtig.

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