Düsseldorfer Geschichten Der Friedhof mit dem „Millionenhügel“

Düsseldorf · Auf dem Nordfriedhof ruhen Dichter und Industrielle, Nazigrößen und Widerstandskämpfer. Ein Spaziergang zum Totensonntag.

 Ein Zylinder schmückt das Grabkreuz des kürzlich verstorbenen Modezars Hanns Friedrichs.

Ein Zylinder schmückt das Grabkreuz des kürzlich verstorbenen Modezars Hanns Friedrichs.

Foto: Bretz, Andreas

Memento mori! Bedenke, dass du sterblich bist — wo gilt diese Mahnung eindringlicher als an diesem Ort? Dichter und Industrielle, Widerstandskämpfer und Nazigrößen, Schwergewichte der Politik und ein "leichtes Mädchen" — wer sich im Leben nie begegnet ist, liegt hier in unmittelbarer Nachbarschaft. Der Nordfriedhof hat Platz für 50 000 Gräber, die ältesten stammen aus dem 19. Jahrhundert, die Steine sind längst verwittert. Und manche erinnern an einen noch frischen Verlust: Das Grab von Hanns Friedrichs, Tausendsassa der Modeszene, schmückt ein Requisit seines Lebens — sein Zylinder.

 Die Grabstätte der Familie Henkel mit einer sitzenden Frauengestalt aus weißem Marmor.

Die Grabstätte der Familie Henkel mit einer sitzenden Frauengestalt aus weißem Marmor.

Foto: Bretz, Andreas

Sie sind nicht zu übersehen, als wollten sie sich im Tod noch ein letztes Mal übertrumpfen: die Gräber der großen Industriellen. Wulf Metzmacher, Historiker und Kenner der Düsseldorfer Friedhöfe, schreitet voran zum "Millionenhügel". Er kennt unzählige Geschichten, die hier schlummern. Vor dem Grab von William Mulvay, einem irischen Wasserbauingenieur, bleibt er stehen: "Er wollte einen Kanal von Heerdt nach Lörick bauen, um den Weg für die Schiffe abzukürzen. Dann wäre Oberkassel eine Insel geworden." Als einziger der Industriellen hat er ein Ehrengrab der Stadt. Metzmacher: "Da fragt man sich doch, wieso er?"

Und nicht die anderen Vertreter einer glorreichen Epoche, die Industriellen Lueg, Heye, Poensgen, Haniel und ihr Bankier Trinkaus, der ihnen das Geld für ihre kühnen Projekte gab. Auf diesem Hügel sind sie alle beisammen, umgeben von Marmor und Granit, überragt von Bögen und Obelisken, bewacht von Engeln — Denkmäler der Macht. Und dann, ein Stück abseits, die wohl imposanteste Grabstätte von Fritz Henkel, dem Konzerngründer: ein griechischer Tempel, im Zentrum eine schlafende Göttin.

Der Nordfriedhof wurde 1884 eröffnet, aus dieser Gründerzeit stammen viele Engel, die alle eine merkwürdige Ähnlichkeit haben. Metzmacher: "Die konnte man im 19. Jahrhundert im Katalog bestellen, vorgefertigte, hohle Gipsformen, die in ein Kupferbad getaucht wurden." Der Unterschied steckt im Detail: Mal halten die Himmelswesen eine Posaune, mal einen Palmzweig.

Feld 72, hier ist die letzte Ruhestätte von Ernst Eduard vom Rath. Hitlers Diplomat in Paris wurde am 7. November 1938 von dem Juden Herschel Grynszpan niedergeschossen und starb am nächsten Tag. In der Nacht darauf brannten in Deutschland die Synagogen. Hitler kam zur Beerdigung und nutzte sie für seine Propaganda. Von einem "makabren Schauspiel" spricht Wulf Metzmacher, der in seinem Buch über den Nordfriedhof auch von späteren Gerüchten berichtet, wonach Opfer und Täter eine homosexuelle Beziehung verband — und die Schüsse möglicherweise aus verschmähter Liebe fielen…

Nicht weit entfernt erinnert ein großer grauer Gedenkstein an den Düsseldorfer Widerstand, hier haben einige seiner führenden Köpfe ihre letzte Ruhestätte. Männer um den Polizeipräsidenten Franz Jürgens, die Düsseldorf in den letzten Kriegstagen vor der völligen Zerstörung bewahrten — und noch am gleichen Tag hingerichtet wurden. Schicksale, die bis heute bewegen — oder längst vergessen sind. So erinnert eine Porträtbüste an Karl Völler, Direktor von Rheinmetall, der 1916 bei einer Übung mit neuer Munition getötet wurde. Und eines der schönsten Grabmäler aus schneeweißem Carara-Marmor ließ Anfang des 20. Jahrhunderts ein Gastwirt und Weinhändler aus der Altstadt für seine junge Frau errichten, die bei einem Verkehrsunfall gestorben war. Leicht zu übersehen ist dagegen das Grab von Detlev Rohwedder, der 1991 in seinem Haus in Oberkassel erschossen wurde. Danach fand man ein Bekennerschreiben der RAF, doch die Täter wurden nie ermittelt.

Das gilt auch für einen spektakulären Mordfall, der die junge Bundesrepublik erschütterte. Am 1. November 1957 fand man die 24-jährige Prostituierte Rosemarie Nitribitt erwürgt in ihrer Wohnung. Sie war die "Hure des Wirtschaftswunders", ihr wurden Kontakte bis in "höchste Kreise" nachgesagt. Auf ihrem Grabstein steht: "Nichts Besseres darin ist denn fröhlich sein im Leben." Manchmal besucht Wulf Metzmacher ihre letzte Ruhestätte bei seinen Führungen: "Aber das Grab ist ziemlich am Rande." Es trägt die Nummer 1148.

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