Wildpferde Frankreichs weiße Stars

In der Camargue leben noch immer rund 1000 halbwilde weiße Pferde in der Natur. Ihre Zuverlässigkeit bei Ausritten durch die Sümpfe und ihr Mut gegenüber Stieren haben sie berühmt gemacht.

 Die Camargue-Pferde leben das ganze Jahr über halbwild in freier Natur.

Die Camargue-Pferde leben das ganze Jahr über halbwild in freier Natur.

Foto: Martina Katz

Daniel Guillamon steigt auf sein Camargue-Pferd. Der Pferdezüchter und professionelle Gardian krempelt die Ärmel seines Hemdes hoch und zupft den breitkrempigen Hut zurecht. Dann greift er den Trident, den Dreizack, mit der rechten und die Zügel mit der linken Hand. „Wir Stierhirten treiben die wilden Bullen in der Camargue zusammen, für die Zucht und für die Course Camarguaise, den traditionellen französischen Stierkampf. Dafür brauchen wir die mutigsten Pferde der Welt“, sagt der 59-Jährige lachend und reitet auf das platte Marschland rund um das Städtchen Arles hinaus.

Die Schwemmlandebene im Süden Frankreichs misst fast 2000 Quadratkilometer, umrahmt von den Orten Arles, Port St-Louis-du-Rhône und Aigues-Mortes – ein Unesco Biosphärenreservat. Hier, wo sich die kleine und die große Rhône ins Mittelmeer ergießen, leben rund 1000 Schimmel das ganze Jahr über halbwild in freier Natur. In den Sommermonaten tummeln sich Touristen an den gewaltigen Dünen, spazieren durch Salinen und reiten an weiten Stränden entlang – ein Urlaubsparadies.

Dennoch würde es hier keine andere Pferderasse aushalten. Zu krass sind die Bedingungen: heiße Sommer mit bis zu 30 Grad Celsius, bitterkalte Winter, heftige Fallwinde wie der Mistral und Mückenscharen. Doch das Camargue-Pferd hat sich im Laufe der Geschichte angepasst. Seine Hufe sind hart, der Haut machen Mückenstiche nichts aus, das Winterfell wächst auf bis zu fünf Zentimeter an. Zudem kann es unter Wasser die Sprossen von Schilf und Seggen grasen.

Als die Camargue noch nicht landwirtschaftlich erschlossen war, streiften die Schimmel frei durch das Delta. Heute leben sie weitgehend unbehelligt auf riesigen, von Wasserkanälen und Holz umzäunten Pferdefarmen, den sogenannten Manaden. Mit klaren Eigentümern und gewissen Regeln. Jeder der fast 100 Manade-Pferdezüchter muss mindestens vier Zuchtstuten besitzen, um ein eigenes Brandzeichen zu erhalten. Dazu braucht er wenigstens 20 Hektar Freiland, ein Stück so groß wie 20 Fußballfelder, auf dem die Tiere verweilen. Der Nachwuchs, dessen Fell sich oft erst im Alter von sechs Jahren weiß färbt, muss hier zur Welt kommen, ohne Hilfe des Menschen. So hat es die Züchtervereinigung Association des Eleveurs de Cheveaux de Race Camargue schon 1967 festgelegt.

Zwar können heute auch Züchter, die weniger als vier Stuten besitzen oder die erforderliche Weidegröße nicht erfüllen, ein Brandzeichen erhalten, doch das hat Auswirkungen auf den Kaufpreis. „4000 Euro bekomme ich für ein erwachsenes Camargue-Pferd“, erzählt Manade-Züchter Daniel später. Doch bei durchschnittlich zwei Fohlen Nachwuchs pro Jahr ist ein Zubrot nötig. Daniel und seine Familie veranstalten deshalb regelmäßig Pferdeshows für die Touristen und bieten Reitausflüge an.

In Aigues-Mortes, am westlichen Zipfel der Camargue, kippt Léa Garnier Wasser aus einem Tank auf ihrer ­Pickup-Ladefläche in eine Tränke auf ihrer Manade. „Seit Jahren ist es das erste Mal, dass es fünf Monate nicht geregnet hat. Sogar das Marschland ist trocken. Ich muss meinen Pferden jetzt Wasser bringen“, sagt die 31-jährige Züchterin. Eigentlich versorgen sich die genügsamen Camargue-Pferde selbst. In diesem Jahr ist das anders. Da hilft es vielleicht ein bisschen, dass Léa und ihr Mann James sich sowieso viel Zeit für die Tiere nehmen. „Den Zuchtstuten gönnen wir ein Jahr Pause“, ergänzt Léa und streicht einer Stute über den Kopf als plötzlich ein Kanonenschuss die Ruhe durchbricht.

Es ist der Startschuss für das neuntägige Opferfest in der Altstadt von Aigues-Mortes. Früher feierte man damit das Ende der Wein- und Salzernte. Die Gardians galoppierten durch die mittelalterlichen Gassen, geleiteten Stier für Stier in die Arena zur Course Camarguaise. Männer pfeifen und rufen, Schimmel wirbeln den Sand auf dem Asphalt auf. Abends wird gegessen und getanzt. Die Festlichkeiten sind ein schöner Abschluss auf dem jährlichen Festkalender der Camargue, in der noch heute die weißen Pferde die großen Stars sind.

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