Auswilderung Nach 100 Jahren fliegen bald wieder Bartgeier in Bayern

Ramsau · Sie waren die größten Flieger der Berge: 1913 wurde allerdings der letzte Bartgeier in den Alpen getötet. Nun kehren sie nach Bayern zurück: Zwei Jungtiere werden ausgewildert. Die Erfolgschancen sind recht gut - aber den Tieren droht eine tückische Gefahr.

 Einer der beiden junge Bartgeiervor der Auswilderung.

Einer der beiden junge Bartgeiervor der Auswilderung.

Foto: dpa/Hansruedi Weyrich

Mit knapp drei Metern Flügelspannweite unübersehbar zogen Bartgeier einst über den Gipfeln der Alpen ihre Kreise. Doch dann verdächtigte der Mensch den reinen Aasfresser, ein Raubvogel zu sein, gar Kinder zu schnappen, und rottete ihn aus. Mehr als 100 Jahre nach dem letzten Abschuss werden am Donnerstag im Nationalpark Berchtesgaden zwei Jungvögel ausgewildert. Sie sollen - so die Hoffnung - nach ihrer Vagabundenzeit nach Bayern zurückkehren und dort mit ihren Partnern Nachwuchs großziehen.

Die aus Spanien stammenden, etwa 100 Tage alten Jungvögel werden von Experten zu Fuß zu ihrer Auswilderungsnische getragen - einem gewaltigen Felsüberhang, 20 Meter breit und 6 Meter tief. Darin geben zwei Kunstnester aus Zweigen und Wolle Geborgenheit. „Nach wenigen Stunden bis Tagen hüpfen die dann fröhlich auf den Felsen rum“, berichtet Toni Wegscheider vom Landesbund für Vogelschutz von den Erfahrungen anderer Auswilderungen im Alpenraum.

Denn das Konzept ist erprobt, seit 1986 wurden rund 230 Bartgeier ausgewildert. Die Überlebensquote beträgt im ersten Jahr 88 Prozent, im zweiten gar 96 Prozent - für in der Wildnis geschlüpfte Vögel unerreichbare Werte. Doch später geht es rapide abwärts: „Wir nehmen an, dass im Alpenraum 30 Prozent aller Bartgeier elendig an Bleivergiftung sterben“, berichtet Wegscheider. In Österreich treffe es sogar rund die Hälfte. „Die ersticken bei lebendigem Leib, die verhungern bei lebendigem Leib“ - je nach betroffenen Organen. Die Geier nehmen das Nervengift mit Aas auf, das mit bleihaltiger Munition geschossen wurde.

Auch wenn Geierreviere viel größer sind, unterstützt zumindest die Berchtesgadener Jägerschaft das Projekt und hat auf bleifreie Munition umgestellt. Auch darüber hinaus brauchen die Tiere anfangs viel menschliche Unterstützung: Im Morgengrauen werden die Betreuer rund 1,5 Stunden aufsteigen und den noch schlafenden Tieren Futter in die Nische werfen. Nach drei bis vier Wochen starten die Junggeier mit Flugübungen. Der Erstflug wirkt auf Zuschauer eher putzig, schildert Wegscheider. „Sie werden ungelenk landen mit Purzelbaum und Überschlag, und von da an sind sie auch nicht mehr im Nest.“

Bis in den Oktober hinein werden die Verantwortlichen in der Region weiterhin Futter auslegen, auf Schuttfeldern und Felsplatten. Bartgeier fressen fast ausschließlich Knochen, weder Schnabel noch Krallen sind darauf ausgelegt, selbst Tiere zu töten.

Im Spätherbst werden die beiden dann vermutlich das Weite suchen und in ihrer Jugendphase alpenweit herumvagabundieren. „Wir hoffen, dass sich die Vögel dann, wenn sie geschlechtsreif sind - das ist mit fünf, sechs Jahren der Fall -, an das Berchtesgadener Land erinnern und zurückkommen“, sagt Carolin Scheiter vom Nationalpark. Das sei aber nicht das Hauptziel. „Es geht vor allem um die Besiedlung in den Ostalpen, weil es da noch zögerlicher vorangeht als in den Westalpen.“

Die Erfahrung zeigt, dass die Chancen für eine Rückkehr hoch sind, denn in den Wochen in der Felsnische prägen sich die Tiere die Umgebung als ihre Heimat ein. Zudem finden sie im Nationalpark und den angrenzenden Regionen ausreichend Platz. Bartgeierreviere sind riesig: 300 Quadratkilometer braucht ein Paar, eine Fläche ungefähr so groß wie Malta. Selbst Steinadler geben sich mit 60 Quadratkilometern zufrieden. Dennoch wird es keinen Streit um Lebensraum geben, denn die Geier gehen sich bei der Reviersuche aus dem Weg.

Zwei bis drei Tiere sollen künftig jährlich in Berchtesgaden ausgewildert werden, bis in acht bis zehn Jahren der erste Nachwuchs schlüpft. Bis dahin sollen auch noch „Premiumgeier“ hinzukommen - also Tiere anderer Herkunft. „Die 300 Bartgeier, die es jetzt im Alpenraum gibt, haben alle die gleichen circa 15 Vorfahren“, erläutert Wegscheider. Durch Zuchtprogramme mit verletzten Wildtieren soll der Genpool in den Ostalpen aufgemischt werden.

(felt/dpa)
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