Skepsis und zu wenig Zeit mit dem Arzt Warum Patienten ihre Tabletten nicht nehmen

Düsseldorf · Ein Drittel der verordneten Medikamente wird nicht genommen. Dass ein Großteil im Müll statt im Magen landet, sorgt jedoch für große Behandlungsprobleme. Warum Patienten Arzneimittel nicht nehmen und was Ärzte tun sollten, um dennoch erfolgreich zu therapieren.

 Auch wenn der Arzt sie verordnet hat: nur ein Drittel der Medikamente wird auch tatsächlich eingenommen.

Auch wenn der Arzt sie verordnet hat: nur ein Drittel der Medikamente wird auch tatsächlich eingenommen.

Foto: Shutterstock/Lisa S.

Das Dilemma ist groß: Wer zum Arzt geht, der möchte Hilfe. Ärzte verschreiben Arzneimittel, die Krankheiten beheben oder den Gesundheitszustand verbessern sollen. Doch nehmen viele Patienten das Therapieangebot ihres Arztes nicht an. Nur 50 bis 70 Prozent der Patienten gehen mit einer Verordnung überhaupt zur Apotheke. Zwischen 48 und 66 Prozent lösen das Rezept dort ein, aber nur 25 bis 30 Prozent nehmen das Medikament auch ein. Woran liegt das?

Nur 99 Sekunden Therapiegespräch

Kritiker sehen die Schuld bei den Ärzten. Dr. Bernard Braun vom Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen äußert sich in einem Fachbeitrag im Medizinerportal medscape kritisch über die Zeitknappheit, die Ärzte mitunter anführten. Für das Gespräch in einer Hausarztpraxis sind nach Ergebnis der europäischen Vergleichsstudie EUROCAM nur knapp acht Minuten Zeit. Oft erläutern Mediziner dem Patienten nicht einmal 99 Sekunden lang, warum er eine Arznei nehmen sollte.

Dabei ist die Einnahme derer häufig Kernprinzip der Therapie. Die Ärzte aber sehen sich unter Kosten- und Zeitdruck. Raum, in Ruhe die Wirkweise eines Medikaments und dessen Einnahme zu erläutern, bleibe kaum. Das macht sich später in der Therapietreue bemerkbar.

Gesundheitsökonom Braun findet hingegen, dass sich Ärzte vor dem Hintergrund der Budgetierung wirtschaftlich selbst schaden. Würden sie zu Beginn einer Behandlung mehr Zeit investieren, zahle sich das in einer besseren Therapietreue aus.

Das sieht die WHO als Manko

Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO hat diesen Grund erkannt und ihn neben vier anderen Faktoren als systembedingten Faktor für die Nichtaufnahme oder den Abbruch von Behandlungen erfasst. Daneben spielen finanzielle und kulturelle, also sozio-ökonomische Gründe ebenso eine Rolle wie krankheitsbedingte Gründe, wie zum Beispiel den Schweregrad einer Erkrankung oder den Leidensdruck des Patienten oder therapiebedingte Gründe, zu denen die Behandlungsdauer oder mögliches Therapieversagen zählen. Zu guter Letzt sind es patientenbedingte Gründe, durch die eine gut gemeinte Behandlung für die Katz sein kann. Der Patient hat beispielsweise Angst vor Nebenwirkungen, er ist vergesslich und denkt nicht an die regelmäßige Arzneieinnahme oder weiß zu wenig über die Erkrankung und hält deren Behandlung für überflüssig.

Zuzahlung und Ahnungslosigkeit als Gründe für die Nichteinnahme

Internationale Studien belegen, "dass aufgrund von Zuzahlungen Patienten unter Umständen ärztliche Rezepte nicht einlösen oder strecken", so lautet eines der Ergebnisse einer Untersuchung, die das Bremer Institut für Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung (BIAG) 2010 anstellte. 70 Prozent der über 1200 befragten Patienten erwartete keine Verbesserung des Gesundheitszustandes bei Einnahme des jeweils verordneten Medikaments und ließen es darum lieber gleich sein, sich das Präparat zu besorgen.

Helfen könnten nach Schlussfolgerung des Gesundheitsinstituts ausführlichere Gespräche zwischen dem Arzt und dem Kranken. Die würden dem Patienten nutzen und das Gesundheitssystem entlasten. Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Denn immer lauter klagen die Berufsverbände, den Medizinern bliebe durch Kostenpauschalen und andere ökonomische Druckmechanismen die Zeit für ausführliche Behandlungen nicht mehr.

Skepsis macht vergesslich

Das rächt sich auch in anderer Hinsicht: Wer seinen Patienten ratlos zurück lässt, der riskiert seine Therapietreue auch aus anderem Grund. Denn Kranke, die die gesundheitliche Wirkung der Arznei skeptisch einschätzen, vergessen die Einnahme viel häufiger als diejenigen, die von einer Hilfe überzeugt sind. Auch solche, die Angst vor den Nebenwirkungen von Medikamenten oder einer möglichen Abhängigkeit davon haben, lassen die Pillen lieber im Schrank, statt sie einzunehmen.

Ein weiterer Stolperstein auf dem Weg zur Gesundung ist die Tatsache, dass manche Arzneimittel ihre Wirkung nicht unmittelbar nach der Einnahme zeigen. Manchmal ist es notwendig, das Mittel über eine längere Zeit zu nehmen, bis ein gewisser Wirkspiegel erreicht ist und sich daraus eine Besserung ergeben kann. Bei Antidepressiva ist das zum Beispiel der Fall. Wer hier nach einigen Tagen beschließt, die Einnahme abzubrechen, bringt sich selbst um eine Besserung. Das jedoch ist nicht allen Patienten klar und der behandelnde Arzt hat keine Chance, das Problem gerade zu rücken, weil er davon - wenn überhaupt - erst im Nachhinein erfährt.

Das sind die gefährlichen Folgen für die Kranken

Selbst wenn die Arzneimittel zunächst eingenommen werden, ist nicht sicher, dass die Therapie auf Dauer erfolgreich läuft. Denn bei einer Besserung der Symptome setzten viele die Pillen gleich wieder ab. Bei chronischen Erkrankungen wie Stoffwechselerkrankungen oder Bluthochdruck kann das dramatische Folgen haben. "Je nach Krankheitsbild kann sich durch Non-Compliance der Gesundheitszustand verschlechtern; Folgekrankheiten können entstehen oder es werden Einweisungen in ein Krankenhaus notwendig", so die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände.

Diabetiker, die die nötige Menge Insulin nicht regelmäßig bekommen, riskieren Folgeerkrankungen, Amputationen durch schwere Gewebeschäden oder eine tödliche Unterzuckerung. Hören Patienten auf, ihre Betablocker gegen Bluthochdruck einzunehmen, drohen ihnen Gefäßschädigungen, Schlaganfall oder Herzinfarkt. Auch diese können tödlich enden. Amerikanische Forscher errechneten, dass die mangelnde Therapietreue bei Menschen mit Koronarer Herzkrankheit für das Herz ebenso schlimm ist wie das Rauchen.

Patientenfehler: Einnahme nur im Akutfall

Zum Problem kann sich auch die Menge an verordneten Medikamenten erwachsen und dazu führen, dass der Betroffene schlicht den Überblick verliert. Der Nächste hat die Schwere seiner Erkrankung noch nicht erfasst oder hortet die dringend nötigen Arzneimittel als stille Reserve für gesundheitlich noch schlechtere Zeiten. Das kann zu schweren Krankheitsverläufen führen.

Im Fall von Gicht zeigen sich beispielsweise die Anfälle meist zunächst lediglich in weiten zeitlichen Abständen, werden aber besonders bei mangelnder Therapietreue später immer häufiger. Nur wer konsequent durch eine angepasste, purinarme Ernährung und regelmäßig eingenommene Medikamente seinen Harnsäurespiegel senkt, kann weiteren Schüben vorbeugen.

Besonders ältere Patienten kapitulieren vor der oftmals sehr vielschichtigen Behandlung. Neben Bestrahlungen oder Massagen wird häufig die Einnahme zahlreicher Arzneimittel gegen unterschiedlichste Leiden verordnet, die in bestimmten zeitlichen Abständen und zu unterschiedlichen Tageszeiten eingenommen werden müssen. Für einen alten Menschen kann das schnell zu viel werden. Hörprobleme oder Sehstörungen erschweren es ihnen zusätzlich, die gut gemeinte Behandlung durchzuführen. Nach Ergebnissen einer amerikanischen Studie haben viele Schwierigkeiten, die Anweisungen auf verschreibungspflichtigen Medikamente richtig zu verstehen. Dazu trägt auch die variable Möglichkeit bei, sie einzunehmen.

Das sorgt für mehr Therapietreue

Hilfreich kann es sein, Verpackungen mit einem festen Etikettendesign zu versehen, das die Zeitfelder "morgens, mittags und abends" aufführt, in die die individuelle Einnahmeempfehlung für den Patienten eingetragen werden kann. Die Food and Drug Administration schlägt solche Dinge im Rahmen einer "Best Practise"- Empfehlung vor. Die Bundesvereinigung der Apothekerverbände nennt die Patienten-Aufklärung durch die Apotheker als eine weitere Möglichkeit: "Apotheker können das Verhalten der Patienten beeinflussen oder ihnen helfen, die Arzneimitteleinnahme mit bestehenden Gewohnheiten zu verknüpfen." Bei Vergesslichkeit helfe es beispielsweise, die morgendliche Tablette immer beim Kaffeekochen einzunehmen.

Die Bremer BIAC-Studie ermutigt zudem Ärzte, sich mehr Zeit zu nehmen und die Patienten ausführlich über die Hintergründe der Therapie zu informieren. Je besser sie sich informiert fühlten und je größer das Vertrauen in die Ärzte sei, desto besser würden Arzneimittel wie besprochen eingenommen. Hilfreich kann auch das Erstellen eines Medikamentenplans sein, der dem Patienten mit nach Hause gegeben wird. Dazu rät auch die Leitlinie zur hausärztlichen Gesprächsführung.

Was kann der Patient selbst tun? Er sollte nachfragen, wenn ihm selbst bei der Behandlung etwas unklar ist und in die Offensive gehen, wenn sich der Arzt seiner Meinung nach hinter Fachbegriffen versteckt. Auch gezielte Nachfragen über Nebenwirkungen, die man sonst selbst dem Beipackzettel entnehmen würde und aus Unsicherheit das Arzneimittel dann weglegt, können beim Arzt gestellt ausgeräumt werden und zu einer erfolgreichen Therapie beitragen.

(wat)
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