Langzeitwirkung muss überprüft werden Hilft Grippemedikament gegen Hirnverletzungen?

New York · Das vor vielen Jahren zufällig entdeckte Grippemittel Amantadin könnte einer Studie zufolge die Heilung bei einem schweren Schädel-Hirn-Trauma beschleunigen. Untersucht wurde die Wirkung des Medikaments an 184 Patienten in Deutschland, Dänemark und den USA. Ergebnis: Bei denjenigen, die Amantadin erhielten, verbesserte sich der Zustand deutlich im Vergleich zu denen, die ein Placebo-Mittel bekamen.

 Das Medikament wurde von einigen Ärzten bereits seit mehreren Jahren bei Patienten mit Hirnverletzungen verordnet.

Das Medikament wurde von einigen Ärzten bereits seit mehreren Jahren bei Patienten mit Hirnverletzungen verordnet.

Foto: ddp

Tatsächlich verordnen viele Ärzte bereits seit mehreren Jahren das Medikament bei Patienten mit Hirnverletzungen. Ob es überhaupt wirkt, ist bis jetzt aber noch nicht überprüft worden.

Mediziner hätten in Ermangelung von für die Diagnose zur Verfügung stehenden Mittel auf Präparate zurückgegriffen, die für andere Erkrankungen zugelassen seien - in der Hoffnung, sie könnten den Schädel-Hirn-Trauma-Patienten helfen, sagte John Whyte, Mediziner aus Philadelphia und einer der Autoren der Studie, die jüngst im "New England Journal of Medicine" veröffentlicht wurde. Diese Entscheidungen basierten aber mehr auf "Intuition und Logik" als auf erwiesenen Erkenntnissen.

Amantadin wurde Mitte der 1960er Jahre als Grippemedikament zugelassen. Bereits wenige Jahre später gab es Hinweise, es könne die Symptome bei Parkinson lindern - inzwischen hat das Mittel auch eine entsprechende Zulassung.

Forscher fanden heraus, dass Amantadin ins Dopaminsystem eingreift; der Botenstoff Dopamin ist unter anderem für die Kontrolle von Körperbewegungen notwendig und beeinflusst die Aufmerksamkeit. Es sei ihnen wichtig gewesen zu erforschen, "ob wir Patienten mit einem nützlichen, einem nutzlosen oder sogar schädlichen Medikament behandeln", sagte Whyte.

"Wichtiger Schritt", aber viele Fragen bleiben noch offen

Die Wissenschaftler um Whyte und den Bostoner Neuropsychologen Joseph Giacino teilten 184 Patienten, Durchschnittsalter 36 Jahre, die sich ein bis vier Monate nach einem schweren Schädel-Hirn-Trauma im Wachkoma oder in minimalem Bewusstseinszustand befanden, in zwei Gruppen ein: Die einen wurden mit Amantadin therapiert, die anderen erhielten Placebo-Präparate, und zwar vier Wochen lang.

Danach hatte sich der Zustand aller Betroffenen verbessert, der der Amantadin-Patienten aber deutlich mehr: Ein größerer Anteil der Teilnehmer dieser Gruppe konnte Ja-Nein-Fragen beantworten, leichte Anweisungen befolgen oder einen Löffel beziehungsweise eine Haarbürste benutzen.

Anschließend wurden die Patienten zwei Wochen lang beobachtet.
Die beiden Gruppen glichen sich in diesem Zeitraum bei ihren Fortschritten wieder an. "Das Ergebnis der Studie bietet denjenigen Hoffnung, deren Lage vielerorts als hoffnungslos bezeichnet wird", sagte Giacino.

Ein nicht an der Studie beteiligter Neurologe sprach ebenfalls von einem "wichtigen Schritt", gab aber zu bedenken, dass weitere Fragen offen seien, zum Beispiel ob auch weniger schwer Verletzte von Amantadin profitierten oder ob das Mittel zwar anfangs die Genesung beschleunige, irgendwann aber keine Wirkung mehr zeige.

Nach Ansicht Giacinos wäre dies trotzdem ein Gewinn: Man solle sich nur einmal vorstellen, schwerst Hirnverletzte könnten bei der Heilung schnellere Fortschritte erzielen als bisher, sagte er. Whyte betonte, weitere und langfristigere Studien seien geplant.

Der Neurowissenschafter Ramon Diaz-Arrastia bezeichnete das Ergebnis der Studie als "willkommene Neuigkeit" in einem Bereich, in dem es viele Fehlschläge gegeben habe. Es sei ein wichtiger Schritt in Bezug auf die Entwicklung neuer Therapien, betonte er.

(APD)
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