Aachen Künstler waren die Wegbereiter für 1968

Aachen · Mit der Studentenbwegung kam Bewegung auch in die Kunst. Eine Schau im Aachener Ludwig-Forum erzählt davon.

Kein anderes Museum könnte eine Ausstellung zur Kunst der 1968er Jahre besser präsentieren als das Ludwig-Forum für internationale Kunst. Nicht nur, weil man in Aachen mit der Sammlung Ludwig über viele Schlüsselwerke aus jener Zeit verfügt. Sondern auch, weil das Haus in der Hülle einer umgebauten Schirmfabrik ein typisches Produkt der Generation nach 1968 war. Eher eine Kompromisslösung und das Ende von endlosen politischen Auseinandersetzungen. Der Aachener Fabrikant Peter Ludwig sowie konservative Kräfte im Aachener Stadtrat hatten einen Neubau für die Sammlung gefordert. Doch Repräsentativ und Konservativ waren nicht mehr richtungsweisend. Dem Alternativen gab man immer öfter den Vorzug.

Die Kunst war bereits seit Ende der fünfziger Jahre explodiert und begann sich mit einem Mal in völlig neuen Formen und Aktionen zu artikulieren: Nackt, aggressiv, freizügig und wuchtig waren ihre Zeugnisse, nazibraun, blumenbunt oder von echtem Blut übergossen. Die Kunst beflügelte die 68er Revolutionen, die ihr Stoff zum Träumen gab und Aktionsspielräume eröffnete. Kunst war jetzt auf Krawall gebürstet, probte den Aufstand gegen Althergebrachtes, den Staat und seinen Machtapparat. Die Künstler wurden wichtige Wegbereiter des Revolutionären.

Im Aachener Ausstellungsforum, einer lichten Halle unter Sheddächern, sind nun mehr als 280 Werke in der Fläche ausgebreitet, um eine Zeit wach werden zu lassen, die kein eindeutiges Stilkriterium verbindet. Außer, dass vielleicht alles anders war als zuvor. Es ist nach Angaben von Forumschef Andreas Beitin die einzige Museumsausstellung in Deutschland, die sich 50 Jahre danach dem Phänomen der 1968er widmet. Mit Katalogbeiträgen von namhaften Autoren und Zeitzeugen wird die Schau intellektuell und fundiert begleitet, so dass vor allem für die jüngere Generation das Ausstellungserlebnis dem Wühlen im Geschichtsbuch nahe kommt.

Das Stichwortverzeichnis ist zu lang, um alles Wichtige aufzulisten, was rund um 1968 geschah und die Menschen so stark bewegte. 1968, das war eine zerdehnte Zeit, es waren die langen sechziger Jahre. Ein Zeitstrahl ist im Ludwig-Forum sorgfältig erarbeitet, illustriert und aufgehängt worden; diese Chronik beginnt 1958, da kam schon das heute noch gebräuchliche Peace-Zeichen auf den Markt. Bis 1972 hat man die Sechziger verlängert, ein Foto zeigt Joseph Beuys, der den Flur der Düsseldorfer Kunstakademie kehrt, in den USA beginnt im gleichen Jahr die Watergate-Affäre. Weiter hilft, diese Zeit stichwortartig einzuordnen, der Vietnamkrieg, der weltweit Massendemonstrationen auslöste. Atomkraft und Öko-Bewegung beschäftigten besonders die Menschen in Deutschland, die Paragraphen 218 und 175, Emanzipation und Sexuelle Befreiung, Kalter Krieg, Kuba-Krise und alle Autoritäten, Rassismus und der Tod von Martin Luther King, Kapitalismus und Konsumzwang, das nationalsozialistische Trauma, die Abrechnung mit der Väter- und Täter-Generation. Die Studentenunruhen brachen aus, Häuser wurden besetzt, mit Steinen in Straßenkämpfen von jungen Demonstranten geworfen, die Polizei konterte mit Wasserwerfern.

Man muss nicht die Politik im Kopf haben, um die Kunst jener Zeit wertschätzen zu können. Zum Beispiel steht ein Bild von Georg Baselitz ganz für sich, sicherlich ein Schlüsselwerk. Schaut man auf sein vielleicht berühmtestes Bild, das er 1962/63 malte und die Polizei anlockte - "Die große Nacht im Eimer" - dann sieht man auf eine armselige Situation. Junger Mann in kurzen nazibraunen Hosen onaniert in einen Eimer. Der Penis ist übergroß, der Arm ab. Es ist das Bild eines Verlierers und Antihelden, Gesicht und Körper sind beschädigt, die Seele ist es noch mehr. Die Nazis werden einem noch oft begegnen.

Gleich im Eingang stößt der Besucher auf Günther Ueckers von Abwehr geprägte Bodenplastik "Barrikade"; 1968 verband er schwere Nägel, an Munition gemahnend, mit Sandsäcken. Eine Allee weiter sind legendäre Videoarbeiten aufgebaut, Yoko Ono bei ihrer Aktion der Selbstentblößung bis zum blanken Po oder Valie Export mit ihrem berühmten Busenkino. Polit-Propaganda mit leisen Tönen inszeniert Peter Weibel, punktgenau 1968. Über seine Bodenplatten, auf denen das Wort Recht gedruckt ist, läuft man leichten Fußes und tritt doch das Recht mit Füßen.

Auch Videos werden in voller Länge ausgespielt. Die Aktionskünstler erhalten den Spielraum, den sie brauchen, Beuys und Bazon Brock, Hans-Peter Feldmann und Hans Haacke, Nam June Paik, A.R.Penck - sie alle stehen für diese Zeit. Gespiegelt mit der parallel von Peter Ludwig in den USA erworbenen Pop Art kommt die raue Zeit in Deutschland besonders krass zum Ausdruck.

Die bunte Pop Art umzingelt das 68er Terrain mit ihren launige Ikonen. "I know how you must feel, Brad", seufzte Roy Lichtensteins Blondi anno 1963. Jede Generation wird diese Ausstellung anders aufnehmen.

(RP)
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