RP Plus Erzählen Sie keine Märchen, Herr Grimm

Wie könnte eine moderne Version von "Hänsel und Gretel" lauten? Und wie erzählt man das Märchen vom Froschkönig in drei Sätzen? Markus Grimm, Nachfahre der berühmten Märchenautoren, hatte eigentlich versucht, sich ein anderes Standbein aufzubauen. Um schließlich doch wieder bei Märchen zu landen.

 Markus Grimm, Nachfahrer der berühmten Märchenautoren.

Markus Grimm, Nachfahrer der berühmten Märchenautoren.

Foto: Markus Grimm

Wie könnte eine moderne Version von "Hänsel und Gretel" lauten? Und wie erzählt man das Märchen vom Froschkönig in drei Sätzen? Markus Grimm, Nachfahre der berühmten Märchenautoren, hatte eigentlich versucht, sich ein anderes Standbein aufzubauen. Um schließlich doch wieder bei Märchen zu landen.

Herr Grimm, hat man Ihnen Märchen erzählt, damit Sie an der TV-Castingshow "Popstars" teilnehmen?

Es hätte Rapunzel sein können (lacht). Ich habe an das Märchen geglaubt, das die Sendung damals verbreitet hat: Dass man es vom hässlichen Entlein mit Hilfe von Talent und Fleiß zum schönen Schwan schafft. Schließlich ging es in dieser Staffel damals wirklich darum, Gesangstalente zu finden. Jedenfalls habe ich dort einige märchenhafte Gestalten gesehen. Und nachdem ich Mitglied der Gewinner-Band Nu Pagadi wurde, bekamen wir tolle Reaktionen auf unsere Musik. Doch als sich die Band 2005 auflöste, folgte der 100-jährige Schlaf — bis die Leute merkten, dass ich tatsächlich auch Texte schreiben kann.

Fühlten Sie sich in der Zeit als Bandmitglied von Nu Pagadi an die Bremer Stadtmusikanten erinnert, die vor allem starken Zusammenhalt verspürten?

Mit dem Hühnchen in der Band, Doreen, verstehe ich mich bis heute sehr gut. Aber in der Band lief es nicht immer friedlich ab. Wir sahen komisch in unseren Steinzeit-Kostüme aus, und hinter jeder Ecke stand eine böse Hexe, die einem einen vergifteten Apfel in den Korb legen wollte.

Nu Pagadi ist überraschend schnell gescheitert. Warum hatte das Märchen kein Happy end?

Man kann keine Freundschaften ercasten. Die Mädels in der Band haben sich untereinander nicht verstanden. Wir wollten damals keine böse Trennung, sondern im Frieden auseinandergehen. Das ist gelungen — und es ist ok so.

Sie stammen von den berühmten Märchenautoren den Brüdern Grimm ab. Wollten Sie sich beweisen, dass Sie auch etwas anderes können als Geschichten zu erzählen?

Ich durfte schon als Kind immer in Märchenrollen schlüpfen — und in der Grundschule auf die Theaterbühne. Aber zugleich war ich auch im Knabenchor und habe später eine musikalische Bildung genossen. Heute, mit 33 Jahren, kann ich endlich beides kombinieren. Zusammen mit Michael Grimm habe ich gerade zwölf Märchen für das Album "Grimm trifft Grimm" vertont, gemeinsam gehen wir im Spätsommer mit dem dazu passenden Bühnenprogramm auf Tour.

Jakob und Wilhelm Grimm haben zusammen mehr als 210 Märchen aufgeschrieben. Wie viele könnten Sie auf Anhieb erzählen?

Zumindest die 25 bekanntesten.

Erzählen Sie doch mal den Froschkönig in drei Sätzen.

Die arrogante kleine Prinzessin verliert ihre goldene Kugel und wird von einem ekligen Frosch aus der brenzligen Situation befreit. Sie vergisst ihn schnell wieder. Nur, um ihn am Ende unverdienter Weise, nachdem sie ihn an die Wand geklatscht hat, als schönen Prinzen abzusahnen.

Die Literaturwissenschaft geht davon aus, dass ein Großteil der Grimm'schen Märchen gar nicht für Kinder gedacht war. Stattdessen solle sich um Sinnbilder handeln, die sich an Erwachsene richten. Haben sich Ihre Ahnen einen Spaß erlaubt?

Das war kein Spaß, die Märchen waren wirklich zum Großteil für Erwachsene gedacht. Anfangs allerdings wenig erfolgreich. Es musste erst der oft vergessene Malerbruder Ludwig Emil Grimm die Märchenbücher mit seinen Illustrationen bereichern, bis sie ein Erfolg wurden.

Hänsel und Gretel hatten damals keine Smartphones. Wie könnte eine moderne Version des Märchenklassikers funktionieren?

Wenn wir mit unserem Bühnenprogramm Märchen wie Hänsel und Gretel live aufführen, dann überschreiten wir die Grenzen von damals ins Hier und Jetzt. Generell aber muss man die Märchen nicht umschreiben. Sie funktionieren so, wie sie gedacht sind.

Hatten Sie als Kind Angst vor dem bösen Wolf?

Angst hatte ich vor Märchenfiguren nie. Ich fand es faszinierend, in eine völlig andere Welt einzutauchen. Angst hatte ich nur vor der TV-Serie "Die dreibeinigen Herrscher".

Auf welchen der beiden Brüder Grimm geht Ihr Stammbaum zurück?

Mein Stammbaum geht auf beide Brüder zurück. Ich bin so etwas wie ein Ur-Ur-Ur-Neffe der beiden. Der größte Teil meiner Familie wohnt noch immer in der Nähe von Hanau. Mein Vater ist über die Schifffahrt nach NRW gekommen, darum bin ich hier groß geworden. Und sehr froh darüber.

Sie sind nicht der einzige Nachfahre der Brüder Grimm. Gibt es Familientreffen, bei denen die ganze Verwandtschaft zusammenkommt und sich Märchen erzählt?

Mit Michael Grimm treffe ich mich regelmäßig, mit dem Rest des Clans nicht. Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, wie viele Nachfahren der Brüder Grimm es heute gibt.

War der prominente Name bisher öfter ein Türöffner oder eine schwere Bürde?

In der Schule war ich immer nur "Grimm, der Märchenerzähler". Bei Theaterstücken durfte ich die Hexe Wackelzahn spielen, die coolen Rollen bekamen andere. Um mich zu profilieren, habe ich meinen Namen nie benutzt. Stattdessen habe ich viel geschrieben. Viele Songtexte und Geschichten sind durch spontane Einfälle entstanden. Irgendwie liegt mir das Märchenerzählen doch im Blut.

Bekommen Sie jeden Monat Geld aus den Verkäufen der Bücher Ihrer Vorfahren?

Das wäre schön. Nein, ich erhalte kein Geld, denn die Rechte an den Büchern sind längst abgelaufen und es ist doch wertvoller, selbst etwas zu erschaffen.

Werden Kindern in Deutschland heute zu wenig Märchen erzählt?

Es werden ihnen jedenfalls die falschen erzählt. Die klassischen Werte werden heute nicht mehr übermittelt. Früher ging es um die Botschaft: Du kannst alles erreichen, wenn du dich nur bemühst. Heute ist die Botschaft: Du kannst alles erreichen — nimm es dir.

Sie haben gerade für eine iPad-Märchenapp das Tapfere Schneiderlein gesprochen. Was kann das iPad, was ein Buch nicht kann?

Bereits damals hat es die Illustrationen des dritten Grimm-Bruder gebraucht, damit sich die Märchen-Bänder von Jakob und Wilhelm verkaufen. Heute sind es interaktive Multimedia-Inhalte auf dem iPad, die die Märchen von damals lebendig machen. Mein Ziel ist es, den Kindern nicht nur etwas vorzusetzen, das sie aufnehmen müssen, sondern sie sollen die Möglichkeit haben, selbst aktiv zu werden und in die Geschichte einzugreifen. Das ist bei dieser App sehr gut gelungen.

Was ist Ihr Lieblingsmärchen?

Hänsel und Gretel. Denn es hat die schöne Botschaft: Wenn man zusammenhält, kann man alles schaffen.

Markus und Michael Grimm sind mit ihrem Bühnenprogramm "Grimm trifft Grimm" auf Tour durch NRW. Sie gastieren am 13. April im Schwarzen Adler in Moers, am 19. April in der Historischen Schützenhalle Xanten.

(seeg)
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