Analyse vor dem Niedersachsen-Derby Der Liga drohen weitere Krawalle

Düsseldorf · Zwischen Vereinen und einem Teil ihrer Fans ist eine Kluft entstanden. Die Emotionen sind aufgeladen. Die Polizei hat für das Niedersachsen-Derby am Freitag zwischen Hannover und Braunschweig die höchste Sicherheitsstufe verhängt.

Vor ein paar Tagen haben einige Mitglieder der Ultras von Hannover 96 eine Art Bürgerwehr organisiert. Die Gruppe hatte sich vorgenommen, nachts um das Stadion zu patrouillieren und mögliche Eindringlinge aus dem verhassten Lager der Anhängerschaft von Eintracht Braunschweig fernzuhalten. Am Freitag treffen sich die beiden Traditionsklubs zum ersten Mal seit 37 Jahren zu einem Duell in der Fußball-Bundesliga.

Die Ultras schnappten tatsächlich bei einem Kontrollgang ein paar vermeintliche Störer — die entpuppten sich allerdings als echte Polizisten. Ehe sich die Männer als Zivilbeamte zu erkennen geben konnten, erhielten sie ein paar Backpfeifen. Nach einer kurzen Verfolgungsjagd wurden die Hilfssheriffs selbst festgenommen.

Für das sogenannte Niedersachsen-Derby erwartet die Polizei indes deutlich härtere Auseinandersetzungen. Für die Partie ist die höchste Sicherheitsstufe verhängt worden. Losgelöst von der besonderen Brisanz der Begegnung in Hannover ist deutlich spürbar, wie aufgeladen die Emotionen in der Fan-Szene sind. Spätestens nach den schweren Ausschreitungen beim Revierderby zwischen Schalke 04 und Borussia Dortmund ist einer breiteren Öffentlichkeit bewusst geworden, wie viel Gewaltpotenzial mit im Spiel ist.

Für Szenekenner kommt diese Entwicklung nicht ganz so überraschend. Nachdem im vergangenen Jahr der Deutsche Fußball-Bund (DFB) im Schulterschluss mit der Politik ein neues Sicherheitskonzept beschlossen hatte, empfanden das viele Ultras als Anfang vom Ende der Fankultur. "Es ist zu einer Entfremdung zwischen den Beteiligten gekommen. Die Distanz zwischen Fans und Institutionen ist immer größer geworden", sagt Fanforscher Jonas Gabler. "Die Fronten sind zunehmend verhärtet." Auch an der Ultra-Szene selbst sei die Entwicklung nicht spurlos vorbeigegangen — unter dem steigenden Druck der Sicherheitsdebatte verschließen sich immer mehr Gruppierungen jeglichem Dialog und sind weniger zur Selbstkritik bereit.

Das wurde auch nach den Vorfällen in Gelsenkirchen sichtbar. Der überwiegende Teil der Fangruppen aus Dortmund distanzierte sich deutlich von den Gewalttätern in den eigenen Reihen, die Leuchtraketen auf den Rasen und in benachbarte Blöcke geschossen hatten. Philipp Markhardt, Sprecher der Initiative "ProFans", reagierte wütend auf die Vorkommnisse. "Natürlich ärgern mich solche Dinge", sagt er. "Das Abfeuern von Raketen in Fanblöcke ist doch Wasser auf die Mühlen der Gegner von Pyrotechnik." Markhardt ist für diese Äußerungen in den eigenen Reihen harsch angegriffen worden. Einige empfinden ihn als Nestbeschmutzer, als einen Verräter. "Ich kenne die Kritik", sagt er. "Aber nicht ich bin doch illoyal, sondern diese Typen, die andere Menschen bewusst in Gefahr bringen."

Der Einsatz von Pyrotechnik im Stadion ist zu einer gefährlichen Protestform verkommen. Es geht nur noch darum anstatt um zu hohe Ticketpreise und den Erhalt von Stehplätzen. Die Jugendkultur erhält gleichwohl weitestgehend Ablehnung auf ihre Forderungen. Aus ihrer Sicht kann man sich nur Respekt verschaffen, wenn man pausenlos die Grenzen bewusst überschreitet. "Es ist eine Rückkehr der Gewalt rund um Fußballstadien zu beobachten", befindet der in Berlin ansässige Wissenschaftler Gabler. "Damit die Situation nicht weiter eskaliert, müssten gerade die Vereine und Verbände positive Signale aussenden. Sie müssten verdeutlichen, was Fans für Rechte haben, und nicht nur herausstreichen, was ihnen alles verboten ist."

Umgekehrt wären die Ultras gut beraten, sich nicht auf das vermeintliche Ausdrucksmittel Pyrotechnik zu versteifen. Statt Pyros zu zünden, sollten alternative Ausdrucksformen von Fankultur gefunden werden. Die sind bislang allerdings nicht in Sicht.

(RP)
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