Harte Kritik Hambüchen droht Turn-Verband mit Boykott

Stuttgart · Fabian Hambüchen hat auch in der Vergangenheit nie ein Blatt vor den Mund genommen. Doch nun rechnet der deutsche Vorturner drei Wochen vor den Weltmeisterschaften in Glasgow mit überraschend harschen Worten mit dem Verband ab und spricht sogar von Boykott.

Olympia 2012: Hambüchen fliegt zu Silber am Reck
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Foto: dapd, Gregory Bull

Fabian Hambüchen hat seinem angestauten Ärger mit einem Rundumschlag Luft gemacht und den Deutschen Turnerbund scharf attackiert. Drei Tage vor der zweiten WM-Qualifikation in Stuttgart forderte er ein Aufbrechen der verkrusteten Strukturen im deutschen Spitzensport und sprach sogar von Boykott. "Eigentlich müssten wir Turner uns mal hinstellen und sagen 'bis hierher und nicht weiter'. Und wenn sich nichts ändert, müssten wir einen großen Wettkampf wie die deutsche Meisterschaft einfach mal boykottieren", kritisierte er in einem Interview der "Stuttgarter Nachrichten" (Mittwoch).

Hambüchen prangerte unter anderem die Situation der Athleten bei den Meisterschaften in Gießen an. "Die Bedingungen waren für uns Sportler nicht optimal. ... Für die VIPs wurde Raum ohne Ende geschaffen, und wir Turner hatten kaum noch Platz in der Halle. In den Pausen sind wir aufeinandergepfercht zusammengesessen, und uns wurde noch nicht mal Wasser oder ein bisschen Obst zur Verfügung gestellt", wetterte der deutsche Vorturner.

Man dürfe sich "nicht wundern, wenn wie bei uns zurzeit im Turnen seit Jahren kaum noch hoffnungsvolle Talente nachkommen und wir Alten immer die Kohlen aus dem Feuer holen müssen", sagte der Ex-Weltmeister, der nach dem Gewinn von bisher 38 Meistertiteln auch am Samstag als klarer Favorit in die zweite Qualifikation für die WM in Glasgow Ende Oktober geht. Trainerjobs seien "oft so miserabel bezahlt, dass sich kaum mehr geeignete Übungsleiter finden".

Daher müsse man den Trainerjob finanziell attraktiver machen. "Es bringt doch nichts, immer nur schöne neue Turnhallen hinzustellen und nur in Steine zu investieren. Das Hauptaugenmerk muss auf der Nachwuchsförderung und damit auch auf den Trainern für den Nachwuchs liegen. Die schönste Halle bringt nichts, wenn dort kein gescheites Training stattfindet", argumentierte Hambüchen.

Seine Kritik richte sich nicht gegen einzelne Personen, stellte der 27-Jährige klar. "Es sind generell die alten verkrusteten Strukturen und Denkmuster, die dringend weg müssen - und das betrifft oft nicht nur den DTB, sondern das deutsche Sportsystem allgemein." Er kenne genügend Turner, die ähnlich denken wie er, aber im Fördersystem gebunden sind. "Viele Athleten sind auf die Gelder angewiesen, da gibt es finanzielle Abhängigkeiten. Da kann ich es ein Stück weit sogar nachvollziehen, dass man seinen Ärger dann im Zweifel eher mal runterschluckt."

Grundsätzlich wehrte sich der Reck-Weltmeister von 2007, der in Rio seine vierten Olympische Spiele erleben möchte, gegen den "streng zentrumsorientierten Ansatz mit den großen Trainingszentren, bei dem der Rest dann halt unter den Deckel fällt und sich selbst überlassen wird. Wir brauchen flexiblere Lösungen in der Talentförderung und nicht diese verkrusteten und starren Strukturen."

(dpa)
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