Koalitionskrach als Dauerzustand Schwarz-gelbe Gesprächstherapie

Düsseldorf (RPO). Im September noch sprachen alle Beteiligten von einer Liebesheirat. Doch die Beziehung von CDU, CSU und FDP entwickelt sich immer mehr zur Hassliebe. Steuersenkungen, Gesundheitsreform, Erika Steinbach: Gelegenheiten zum Streiten gibt es viele - und sie werden lustvoll genutzt. Ein Ehepaar wäre längst zum Beziehungsberater geschickt worden. Die Koalition hingegen versucht es mit einer Gesprächstherapie.

 Die Flitterwochen sind vorbei: Zwischen Union und FDP knirscht es. Der Krisengipfel soll Abhilfe schaffen.

Die Flitterwochen sind vorbei: Zwischen Union und FDP knirscht es. Der Krisengipfel soll Abhilfe schaffen.

Foto: AFP

Im Januar ist es soweit. Im Bundeskanzleramt werden die CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel, FDP-Chef Guido Westerwelle sowie sein CSU-Pendant Horst Seehofer zu einem Sechs-Augen-Gespräch zusammenkommen. Von einem "Krisentreffen" wollte der bayerische Ministerpräsident am Mittwoch nicht sprechen - aber worum handelt es sich sonst? Für Zwistigkeiten ist eigentlich der Koalitionsausschuss zuständig.

Die Flitterwochen sind unübersehbar vorüber. Doch nun wird das Koalitionsklima und vor allem die desaströse Außenwirkung zur Chefsache. NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers sieht in dem Treffen nicht ganz ohne Grund "die Gelegenheit zu einem Neustart". Bei der CSU hingegen ist man um Relativierung bemüht. "Das hat nichts mit Krise zu tun", sagte Seehofer am Donnerstag. CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich sekundierte, dass so ein Treffen das ganz Normale und Selbstverständliche sei. Was die Kanzlerin davon hält, ist - wieder einmal - nicht bekannt.

Schlechte Voraussetzungen, wenn sich die Partner bereits im Vorfeld nicht über Zweck und Stellenwert des Gipfels einig sind. Solch unterschiedliche Sichtweisen haben in der relativ kurzen Zeit, die die Koalition besteht, bereits eine gewisse Tradition. Immerhin bietet der Koalitionsvertrag dank vager Formulierungen und einem "Finanzierungsvorbehalt" für alles, was Geld kostet, viel Interpretationsspielraum. Der ehemalige CDU-Generalsekretär Heiner Geißler forderte gar via "FTD" neue Verhandlungen. Außerdem bedienen die jeweiligen Parteien in Teilen unterschiedliche Zielgruppen, deren Interessen sich nicht immer miteinander vereinbaren lassen.

Hinzu kommen die Protagonisten selbst. Die FDP beispielsweise zehrt von dem überwältigenden Wahlergebnis bei der Bundestagswahl. Im Gegensatz zu früheren schwarz-gelben Koalitionen sind die Liberalen kein reiner Juniorpartner und scheuen den Konflikt mit der Union nicht mehr. Vor allem mit der CSU gibt es immer wieder Reibungen.

Reibungen an der Tagesordnung

Bei der Besetzung des Beirats der Vertriebenenstiftung will Außenminister Westerwelle die Vertriebenenpräsidentin Erika Steinbach verhindern, um das Verhältnis zu Polen nicht zu belasten. Bei der Union will vor allem die CSU die umstrittene Politikerin in das Gremium hieven, denn in der Heimat bildet der Verband eine starke Lobby - und man schärft das konservative Profil.

Überhaupt sind die Christsozialen in den letzten Wochen auf Konfrontationskurs. Das Desaster bei den Land-, Europa- und Bundestagswahlen hat die Partei unter Druck gesetzt. Ministerpräsident Seehofer muss Resultate liefern - schließlich ist er nicht aufgrund seiner innerparteilichen Beliebtheit in das Amt gekommen, sondern weil ihm nach dem missglückten Beckstein/Huber-Experiment eine Verbesserung der Lage am ehesten zugetraut wird.

Im Steuerstreit zeigten die Bayern zuletzt klare Kante. Westerwelle beharrte auf dem Dreikönigstreffen in Stuttgart noch auf großzügigen Steuerentlastungen für 2011. Doch Merkel und Seehofer haben sich laut "Leipziger Volkszeitung" schon zum Jahreswechsel geeinigt, dass sich angesichts der aktuellen Finanzlage und der zu erwartenden Steuer- und Finanzmarktentwicklungen "keinesfalls mehr ein zweistelliger Milliardenbetrag" für weitere Steuererleichterungen werde mobilisieren lassen.

Steuerstreit nicht ausgestanden

CDU- und CSU-Politiker verwiesen der Zeitung zufolge darauf, dass die Union schon in ihrem Wahlprogramm nie mehr als 15 Milliarden Reformvolumen versprochen habe. Davon seien durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz bereits acht Milliarden Euro aufgebraucht. Vor den Bundestagsabgeordneten seiner Partei hatte Seehofer Mittwochabend angekündigt, bei dem Gipfel werde "eine Ernüchterungsphase für Westerwelle in Bezug auf die Steuerpläne" eingeleitet. Der Stufentarif, eine Kernforderung der Liberalen, dürfte also ebenfalls für absehbare Zeit ad acta gelegt sein.

Eine richtige Bewährungsprobe steht erst noch an: FDP-Gesundheitsminister Philipp Rösler will die umstrittene Kopfprämie in der gesetzlichen Krankenversicherung schrittweise einführen. Dieses Rezept hatte die Union lange Zeit selbst im Forderungskatalog, doch nun gibt es auch hier Widerstand. Diese Reform, sollte sie denn kommen, könnte zum Lackmustest für die Koalition werden. Bayerns Gesundheitsminister Markus Söder (CSU), kein Freund zurückhaltender Worte, hat sich auf seinen Gegenspieler in Berlin bereits eingeschossen.

Die Themen der nächsten Wochen und Monate bieten also eine Menge Konfliktpotenzial. Nun wird die Koalition zeigen müssen, wie viel Liebe in ihr steckt - oder ob es sich um ein amoröses Missverständnis handelt. Miteinander und nicht übereinander sprechen ist jedenfalls ein Anfang.

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