Rassistischer Terroranschlag Hanau steht unter Schock – Entsetzen im ganzen Land

Hanau · Deutschland trauert um die Opfer des mutmaßlich rassistischen Terroranschlags auf zwei Shisha-Bars in Hanau. Neun der elf Toten haben einen Migrationshintergrund. Hanau steht unter Schock.

Schüsse in Hanau: Am Morgen nach der Tat sucht die Polizei nach Spuren
18 Bilder

Hanau am Morgen nach der Tat

18 Bilder
Foto: AFP/THOMAS LOHNES

Wo am Vortag in der hessischen Stadt mutmaßlich ein 43-Jähriger mehrere Menschen erschossen hat, stehen Passanten fassungslos vor Absperrbändern der Polizei. Auch Kadir Köse wirkt immer noch betroffen. Der Gastronom betreibt das „Blind Rabbit“ in der Hanauer Innenstadt, schräg gegenüber der beiden Bars, wo am späten Mittwochabend das grausame Verbrechen seinen Anfang nahm.

„Ich stand an der Theke, als ich plötzlich Schüsse gehört habe“, berichtet er. Das sei so laut gewesen, dass er zunächst an Silvesterböller gedacht habe. Er sei auf die Straße gelaufen und habe Menschen am Boden gesehen. „Dann bin ich wieder reingerannt, um meinen Gästen zu sagen, dass sie vom Fenster wegbleiben sollen.“ Wenig später seien mehrere Polizeiwagen vorgefahren.

Stundenlang bleiben in der Nacht die Hintergründe der unfassbaren Bluttat unklar. Im Verlauf des Donnerstages wird die Dimension immer deutlicher: Bei dem mutmaßlich rechtsradikalen und rassistischen Anschlag, so die ersten Erkenntnisse der Ermittler, hat der 43-jährige zehn Menschen und sich selbst erschossen. Bei den Opfern soll es sich vor allem um Menschen mit ausländischen Wurzeln handeln.

Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) zeigte sich zutiefst erschüttert. Die letzten Stunden „gehören zu den bittersten und traurigsten Stunden, die diese Stadt in Friedenszeit jemals erlebt hat“.

Der mutmaßliche Todesschütze Tobias R. soll an mindestens vier Tatorten in Hanau geschossen haben, neben zwei Bars auch in einer Art Kiosk und auf ein Auto. Neun Menschen sterben, mehrere werden teils schwer verletzt. R., ein Sportschütze, soll dann in der eigenen Wohnung erst seine Mutter und dann sich selbst erschossen haben. Nachbarinnen beschreiben ihn als „ganz unauffälligen jungen Mann“. Er habe zudem einen „bisschen verstockten Eindruck gemacht“ und sei sehr schüchtern gewesen.

Der Tatort in der Innenstadt am Heumarkt ist großräumig abgesperrt, rot-weißes Absperrband flattert in der Luft. Eine ältere Frau kommt gerade vom Arzt und sagt: „Dass Leute auf solche Gedanken kommen, es ist nicht zu fassen.“ Sie schüttelt den Kopf und geht weiter. Vor einer Bäckerei steht eine Passantin, deren Büro ganz in der Nähe des Tatorts liegt. „Es macht einem schon Angst, dass das jetzt so nah gekommen ist. Sonst hört man nur davon, dass so etwas woanders passiert.“

Auch am wenige Kilometer entfernten Tatort rund um den Kiosk im Stadtteil Kesselstadt stehen Menschen vor den Absperrungen der Polizei. Noch immer sind Ermittler in weißen Schutzanzügen im Einsatz. Passanten stehen zusammen, einige unterhalten sich leise, manche schluchzen, viele schweigen einfach nur. Mehrere Frauen kommen vorbei, eine von ihnen weint hemmungslos und muss gestützt werden. Eine Begleiterin raunt den Umstehenden erklärend zu: „Sie hat ihren Sohn verloren.“

Kesselstadt ist ein Stadtteil, zu dem Hochhäuser ebenso gehören wie ruhige Straßen mit Bungalows und Reihenhäusern. In dem Viertel leben rund 11.500 Menschen. „Hier ist es friedlich“, sagt eine Anwohnerin. In letzter Zeit sei der Ausländeranteil gestiegen, Probleme gebe es aber nicht. Eine andere Anwohnerin meint, es sei zwar meist friedlich, doch gebe es durchaus Problembereiche, gerade rund um die Hochhäuser.

„Hanau ist eine sehr friedliebende Stadt“, sagt ein 21-Jähriger, der direkt am Tatort in Kesselstadt wohnt. „Eigentlich“, fügt er hinzu. Kleinere Vorfälle habe es schon mal gegeben. „Aber nicht in so einem Ausmaß.“ Der 21-Jährige, der anonym bleiben möchte, ist Deutscher mit türkisch-kurdischen Wurzeln. Angst habe er nicht nach der Tat. „Aber man denkt mehr darüber nach, was noch in der Zukunft passieren könnte.“

Eine 48-Jährige, die mit ihrem Hund unterwegs ist, zeigt sich tief geschockt. „Ich bin todtraurig“, sagt die Hanauerin, die ebenfalls ihren Namen nicht nennen möchte. Sie fügt hinzu: „Ich bin türkischstämmige Deutsche, ich hatte bisher keine Angst.“ Doch seit klar ist, dass der Todesschütze offenbar ein rassistisches Motiv hatte, „habe ich einfach nur noch Angst, vor die Tür zu gehen“.

(c-st/dpa)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort