Interview mit Gesundheitsminister Gröhe "Die Termingarantie tritt 2015 in Kraft"

Berlin · Gesundheitsminister Hermann Gröhe spricht im Interview mit unserer Redaktion über die geplante Termingarantie für Kassenpatienten, die finanziellen Belastungen in der Pflege und die Krankenhausreform.

 Birgit Marschall und Eva Quadbeck im Gespräch mit Hermann Gröhe.

Birgit Marschall und Eva Quadbeck im Gespräch mit Hermann Gröhe.

Foto: Marco Urban

Welchen Stellenwert hat Gesundheit für Sie persönlich?

Gröhe Der Wert von Gesundheit wird am deutlichsten im eigenen Lebensumfeld. Bei der Geburt der eigenen Kinder entsteht Freude und Dankbarkeit darüber, dass sie gesund sind. Und genauso macht die Erfahrung von schwerer Krankheit und Tod im engsten Familienkreis den Wert der Gesundheit bewusst.

Können Sie mit der Redewendung "Hauptsache gesund" etwas anfangen?

Gröhe 'Hauptsache gesund' ist ein Herzenswunsch, es ist aber auch eine problematische Aussage. Denn Krankheit und Hilfsbedürftigkeit gehören zum menschlichen Leben dazu. In einer Gesellschaft, die auf Kraft und Erfolg setzt, ist der Gedanke nicht leicht, dass wir nach 80 oder 85 guten Lebensjahren etwa durch eine Demenzerkrankung wieder auf Hilfe angewiesen sind.

Wie wird die geplante Krankenhausreform die Versorgung in Deutschland verändern?

Gröhe Es gibt Regionen, in denen es darum geht, eine gut erreichbare medizinische Versorgung aufrechtzuerhalten, und Gebiete, in denen Überversorgung herrscht. Wir brauchen eine vernünftige Verteilung. Wenn es nach einem Unfall oder nach einem Herzinfarkt schnell gehen muss, ist gute Erreichbarkeit für die direkte Versorgung von Patienten entscheidend. Gerade bei planbaren, komplizierten Eingriffen braucht es Spezialisierung. Da ist eine hohe Qualität und Erfahrung noch wichtiger als Nähe. Eine sinnvolle Arbeitsteilung ist deshalb der richtige Weg. Zugleich müssen die Grenzen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung durchlässiger werden.

Wird es zu Klinikschließungen kommen?

Gröhe Die Frage ist nicht, ob Kliniken geschlossen werden sollen oder nicht, sondern wie wir eine optimale Versorgung der Patienten sicherstellen können. Nicht jede Klinik muss alles anbieten. Es geht auch um Kooperationen von Kliniken und Spezialisierungen: Etwa wenn eine Klinik eine Abteilung ausbaut, die in der benachbarten Klinik nicht mehr angeboten wird.

Sollen die Kliniken denn weiter nach Fallpauschalen bezahlt werden?

Gröhe Der Grundsatz, dass sich die Vergütung nach den medizinischen Leistungen richtet und nicht nach der Länge des Aufenthalts im Krankenhaus, ist richtig. Daran wollen wir festhalten. Klar ist aber auch, dass wir uns angesichts hoher Operationszahlen sehr genau ansehen müssen, ob es ökonomische Fehlanreize gibt. Patienten müssen sich darauf verlassen können, dass nur Operationen durchgeführt werden, die medizinisch auch notwendig sind.

Ab wann wird die Termingarantie gelten, wonach Kassenpatienten nicht mehr länger als vier Wochen auf einen Facharzttermin warten müssen?

Gröhe Wir werden noch in diesem Jahr den Entwurf eines Gesetzes vorlegen, in dem auch die Termingarantie geregelt wird. Die Regelungen sollen 2015 in Kraft treten und dann umgesetzt werden. Positiv ist, dass sich allein durch die Diskussion um die Termingarantie viel bewegt. In einigen Regionen haben sich die Ärzte schon daran gemacht, das Problem zu verringern, durch besseres Praxismanagement, die Zusammenarbeit in Ärztenetzwerken oder eigene Termin-Servicestellen.

Werden sich Privatversicherte umgekehrt auf längere Wartezeiten einstellen müssen?

Gröhe Ich gehe nicht davon aus, dass Verbesserungen für Kassenpatienten zu Lasten der Privatversicherten gehen.

Sollen die Ärzte die Termingarantie selbstständig organisieren?

Gröhe Die Kassenärztlichen Vereinigungen sollen Termin-Servicestellen für die Versicherten einrichten. Eine Zusammenarbeit mit den Krankenkassen soll aber möglich sein.

Gerade wird der seit vielen Jahren diskutierte neue Begriff von Pflegebedürftigkeit in der Praxis erprobt. Wem wird die Reform nutzen?

Gröhe Ziel ist, dass alle Pflegebedürftigen künftig von dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff profitieren. Deshalb ist es auch wichtig, dass wir das neue System sorgfältig erproben, bevor wir damit starten, so wie es der Expertenbeirat empfohlen hat. Schließlich werden jährlich 1,6 Millionen Menschen für die Einteilung in Pflegestufen begutachtet.

Was heißt das für den Pflegealltag?

Gröhe Im Alltag soll es nicht mehr nur darum gehen, wie viele Minuten Unterstützung jemand zum Waschen, Essen oder Anziehen benötigt. Wir wollen die individuelle Pflegebedürftigkeit umfassender ermitteln. Dabei geht es um Unterstützungsbedarf, aber auch darum, was ein Mensch noch selbstständig kann. Körperliche und psychische Beeinträchtigungen sollen bei der Pflege gleichermaßen berücksichtigt werden.

In dieser Wahlperiode soll der Beitragssatz zur Pflegeversicherung um insgesamt 0,5 Prozentpunkte erhöht werden. Wie lange reicht das zusätzliche Geld?

Gröhe Mit diesem Kraftakt wird das Leistungsvolumen der Pflegeversicherung um 20 Prozent erhöht. Aber natürlich wird manches wünschbar bleiben, was wir uns mit Blick auf die langfristige Finanzierung der Pflegeversicherung nicht leisten können.

Wird sich die Gesellschaft insgesamt darauf einstellen müssen, dass Pflege künftig jenseits der Versicherung auch für den Einzelnen mehr Zeit und Geld kosten wird?

Gröhe In einer älter werdenden Gesellschaft werden wir uns darauf einstellen müssen, dass wir eher mehr als weniger für die eigene Gesundheit und Pflege ausgeben müssen. Die Pflegeversicherung wird immer eine Teilversicherung bleiben. Der Absicherung im Alter dient zusätzlich die Rente, beispielsweise aber auch eine staatlich geförderte Pflegezusatzversicherung. Jetzt kommt ein Pflegevorsorgefonds hinzu. Damit sparen wir Geld für die Zeit an, in der die geburtenstarken Jahrgänge ins Pflegealter kommen, um den Anstieg des Beitragssatzes zur Pflegeversicherung in dieser Zeit abzumildern. Auch die private Vorsorge wird wichtiger werden. Das gilt nicht nur finanziell. Dazu gehört auch, dass wir im privaten Umfeld mehr darüber sprechen, wie wir uns selbst Pflege vorstellen und Vorkehrungen treffen.

(mar / qua)
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