Parlamentswahl in der Ukraine Timoschenkos Triumph aus der Zelle

Kiew · Bei der Parlamentswahl in der Ukraine wird das Bündnis der inhaftierten Ex-Ministerpräsidentin überraschend deutlich stärkste Oppositionskraft – vor der Partei von Boxweltmeister Vitali Klitschko. Insgesamt liegt aber die Regierungskoalition vorn. Ein Machtwechsel ist nicht in Sicht.

Julia Timoschenko und ihre Verletzungen
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Bei der Parlamentswahl in der Ukraine wird das Bündnis der inhaftierten Ex-Ministerpräsidentin überraschend deutlich stärkste Oppositionskraft — vor der Partei von Boxweltmeister Vitali Klitschko. Insgesamt liegt aber die Regierungskoalition vorn. Ein Machtwechsel ist nicht in Sicht.

Eigentlich schien bei dieser Parlamentswahl in der Ukraine schon alles klar. Die Partei des Präsidenten Viktor Janukowitsch würde siegen — mit den in vielen postsowjetischen Ländern üblichen Mitteln.

Erwartungsgemäß erhielt Janukowitschs "Partei der Regionen" dann auch je nach Prognose knapp unter oder über 30 Prozent. Obwohl die Regierungskoalition, zu der auch die Kommunisten gehören, auf deutlich weniger als die Hälfte der Stimmen kommt, dürfte sie im neuen Parlament erneut eine Mehrheit haben — die Prognosen berücksichtigen nur die 225 der 450 Sitze, die über Parteilisten vergeben werden. Weitere 225 werden über Wahlkreise bestimmt. Hier gilt die Regierung als sehr stark.

Eine Überraschung gab es in dieser Wahlnacht aber doch: Das Bündnis "Vereinigte Opposition", dem auch die Vaterland-Partei der inhaftierten Ex-Premierministerin Julia Timoschenko angehört, wird zweitstärkste politische Kraft. Wahlnachbefragungen sahen die "Vereinigte Opposition" bei knapp 25 Prozent. Für Timoschenko, die im ostukrainischen Charkow eine siebenjährige Haftstrafe wegen Amtsmissbrauchs verbüßt, ist das ein Triumph aus der Zelle.

Die 51-jährige Politikerin gab ihre Stimme im Beisein von zwei Beobachtern der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) im Charkower Eisenbahner-Krankenhaus ab. Hier wird sie wegen eines Bandscheibenvorfalls behandelt. Man habe sie erst nach langen Sicherheitsvorkehrungen vorgelassen, sagte die OSZE-Beoachterin Lykke Friis: "Julia Timoschenko hat uns bestätigt, dass die Unterstützung Europas für sie sehr wichtig ist." Die Unterhaltung mit der Politikerin habe nur fünf Minuten gedauert. Der schwedische OSZE-Beobachter Jan Erikson Urban sagte, Timoschenko habe "sehr krank" gewirkt.

Auf ihrer Website hatte Timoschenko ihre Anhänger aufgefordert, so zahlreich wie möglich zur Wahl zu gehen. "Jeder von uns muss gegen die Diktatur kämpfen, so gut er kann", schrieb sie. Nur "Blinde und Taube" könnten glauben, dass die Abstimmung fair sei.

Mit Präsident Viktor Janukowitsch verbindet Timoschenko eine lange Rivalität. 2004 wurde Janukowitsch nach gefälschten Wahlen zum Nachfolger von Präsident Leonid Kutschma gekürt. Doch die Orangene Revolution, deren Anführer Timoschenko und der spätere Präsident Viktor Juschtschenko waren, fegte Janukowitsch aus dem Amt. Später zerstritten sich Timoschenko und Juschtschenko; die Präsidentschaftswahl 2010 gewann Janukowitsch. Er sorgte dafür, dass gegen Timoschenko ein Verfahren wegen Amtsmissbrauchs eingeleitet wurde. Der Prozess wurde international als politisch motiviert kritisiert.

Bei den Wahlen schnitt ein prominenter Newcomer weit schlechter ab als erwartet: Box-Weltmeister Vitali Klitschko mit seiner Partei "Udar" ("Schlag") musste sich laut Prognosen mit knapp 15 Prozent zufriedengeben. Vor der Wahl waren viele Beobachter davon ausgegangen, dass Klitschkos Partei die Rolle der stärksten Oppositionskraft zukommen würde. Der 41-jährige Boxprofi hatte einen Kampf gegen die Korruption sowie eine Orientierung der Ukraine an westlichen Normen versprochen. Neben den Kommunisten schaffte auch die neu gegründete nationalistische Partei "Swoboda" ("Freiheit") den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde. Die Formation, die gegen eine Russifizierung ist, aber auch gegen eine Annäherung an die Europäische Union, erhielt nach Prognosen etwa zwölf Prozent.

Vitali Klitschko sagte nach seiner Stimmabgabe, er sei "in kämpferischer Stimmung". "Wir werden genau darauf achten, dass jetzt bei der Auszählung keine Stimme gestohlen wird", fügte er hinzu. Die Prognosen zeigten, dass die Opposition "großes Potenzial" habe. Er werde Sondierungsgespräche über eine Zusammenarbeit mit der "Vereinigten Opposition" und mit "Swoboda" führen. Klitschkos Verhältnis zu der von Timoschenko dominierten Oppositionsallianz ist allerdings zwiespältig. Einen Pakt gegen Janukowitsch hatte er im Wahlkampf vermieden. In vielen Wahlkreisen hatte man sich jedoch trotzdem auf den Kandidaten mit den größeren Chancen geeinigt.

Der Urnengang wurde von 3800 internationalen Beobachtern verfolgt. Oppositionelle Medien berichteten am Wahlsonntag von vielen Verstößen und Fälschungsversuchen. Ein Sprecher der "Vereinigten Opposition" sagte, man habe 1000 Fälle von Wahlmanipulationen registriert. In Kiew wurden demnach sogenannte Wählerkarussells beobachtet: Busse fahren Wähler von Wahllokal zu Wahllokal, damit sie ihre Stimme zugunsten des Regierungslagers mehrfach abgeben können. Die Internetzeitung "Ukrainskaja Prawda" berichtete, man habe Wählern umgerechnet 20 Euro und ein Glas Wodka für ihre Stimme angeboten.

(RP/sap)
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