Nach „Bild“-Diffamierung als „Lockdown-Macher“ Dutzende Wissenschaftler wehren sich gegen Angriffe

Hamburg · Am Sonntag sind dutzende Forschende an die Öffentlichkeit gegangen und haben Gesellschaft und Politik dazu aufgefordert, die Freiheit und Unabhängigkeit der Wissenschaft und Forschung zu schützen. Auslöser dafür war ein umstrittener Artikel der „Bild“-Zeitung.

 Auch Dr. Mai Thi Nguyen-Kim, Moderatorin und Wissenschaftsjournalistin, gehört zu den Unterzeichnern des Appells (Archivbild).

Auch Dr. Mai Thi Nguyen-Kim, Moderatorin und Wissenschaftsjournalistin, gehört zu den Unterzeichnern des Appells (Archivbild).

Foto: dpa/Henning Kaiser

In einem am Sonntag veröffentlichten Beitrag des Internetportals „Zeit Online“ äußerten sich insgesamt 31 Forschende und Experten, darunter die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim. „Wenn Wissenschaft medial weiterhin aus dem Kontext gerissen und willkürlich ideologisch zurechtgebogen wird, werden sich immer mehr seriöse und kluge Köpfe zurückziehen und ihre wissenschaftliche Expertise nicht mehr mit Öffentlichkeit und Politik teilen“, sagte die Chemikerin. „Wenn wir daran nichts ändern, hat unsere Demokratie ein Problem.“

Mojib Latif, Klimaforscher am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel, sagte, Wissenschaft müsse frei sein und ihre Stimme erheben können, wenn Fehlentwicklungen drohen. Eine freie Gesellschaft könne es nur mit einer freien Wissenschaft geben. „Wir müssen Hass und Hetze gegen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entschieden entgegentreten, wenn wir unser Land nicht an die Rücksichtslosesten unter uns verlieren wollen“, mahnte Latif.

Die Soziologin Jutta Allmendinger warnte vor dem Rückzug gerade junger Wissenschaftler aus der öffentlichen Debatte. „Es ist daher zwingend und geboten, dass die Wissenschaft zusammensteht und sich gegen Angriffe wie jene der 'Bild'-Zeitung wehrt“, sagte die Leiterin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung. Auch der Leiter des Instituts für Virologie an der Universität Gießen, Friedemann Weber, kritisiert die Berichterstattung der Boulevardzeitung: „Ich bin der Meinung, dass die Betroffenen quasi für vogelfrei erklärt werden, wenn ihre solchermaßen betitelten Porträts millionenfach an Tankstellen, Supermärkten und Kiosken ausliegen.“

Die „Bild“-Zeitung hatte in einem Online-Beitrag vom 4. Dezember die drei Wissenschaftler Dirk Brockmann von der Humboldt-Universität, Viola Priesemann vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation und Michael Meyer-Herrmann vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung als „Lockdown-Macher“ bezeichnet. Der Deutsche Presserat prüft derzeit zahlreiche Beschwerden wegen des Berichts. Ein Sprecher der „Bild“-Gruppe hatte erklärt, Kritik an Wissenschaftlern und ihren Vorschlägen müsse möglich sein, aber immer angemessen geübt werden.

In dem Beitrag von „Zeit Online“ kommen unter anderem auch die Virologin Sandra Ciesek, der Klimaforscher Stefan Rahmstorf, die Sozialpsychologin Pia Lamberty, die Politökonomin Maja Göpel, der Wissenschaftsjournalist Eckart von Hirschhausen, die Soziologin Jutta Allmendinger und der Berliner Modellierer Kai Nagel zu Wort.

(felt/epd)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort