München ohne Oktoberfest Wiesn ohne Wiesn

München · An diesem Samstag würde es auf dem Münchner Oktoberfest eigentlich heißen: „O’zapft is!“. Doch wegen der Pandemie fällt das Spektakel aus. Alternative Aktionen sollen trotzdem für Gaudi sorgen. Dennoch herrscht eher Katerstimmung.

 Im vergangenen Jahr tummelten sich auf der Münchner Theresienwiese Oktoberfestbesucher – in diesem Jahr bleibt sie leer.

Im vergangenen Jahr tummelten sich auf der Münchner Theresienwiese Oktoberfestbesucher – in diesem Jahr bleibt sie leer.

Foto: Imago Images

Sie ist schon recht hässlich, wie sie sich da ziemlich leer vor einem erstreckt. Betonierte Straßen durchziehen die Fläche, der sonstige Boden besteht aus grauem Schotter und niedrigem Gestrüpp. Die Wirtsbudenstraße, wo sonst die riesigen Bierzelte stehen, sieht aus wie eine Flughafen-Startbahn. Am Rand unterhalb der Bavaria-Statue, der 18,5 Meter hohen Patronin Bayerns, ist eine Corona-Teststation aufgebaut. Mit einer Wiese hat die Münchner Theresienwiese derzeit nichts zu tun.

An diesem Samstag bleiben die Zapfhähne zu. Das Oktoberfest, das größte Volksfest der Welt, wurde wegen der Corona-Pandemie abgesagt. Erstmals seit 1945 bleibt München in diesen 16 Tagen der Nicht-Wiesn mit sich allein. Lang sind die Bekundungen des Bedauerns. „Ich bin sehr enttäuscht“, erklärte Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). Karl Wiedemann, Organisator des traditionellen Trachtenumzugs, sagte: „Mir blutet das Herz.“ Im Internet wurde ein Foto gepostet von einem frischen Grab und einem Holzkreuz mit der Aufschrift „Oktoberfest 2020“.

Die Theresienwiese, mit 42 Hektar so groß wie 59 Fußballfelder, wird auf andere Weise genutzt. Es gibt einen kleinen „Spielstrand“ für Kinder mit Sand, Klettergerüst und Palmen. Spaziergänger, Jogger, Radfahren sind auf dem Areal. Immer freitags wird von der Stadt ein kostenloses Fitness-Programm angeboten, das „Wiesn Wadl Workout“. Und die Gegner der Corona-Politik demonstrieren immer wieder auf dieser größten Freifläche der Stadt.

Das Oktoberfest ist ein Mythos und eine riesige Kommerz-Maschine. Um die sechs Millionen Besucher kommen jedes Jahr, davon zwei Millionen aus dem Ausland, der Umsatz liegt bei einer Milliarde Euro. Für die einen ist diese fünfte Jahreszeit zwischen Sommer und Herbst die wichtigste. Man gibt sich der Illusion einer ganz eigenen, abgeschlossenen Feier-Welt hin. Das Areal durchzieht der Geruch von gegrilltem Hendl und Bier, Zuckerwatte und Schweiß.

Es gibt die Geschichten von Paaren, die sich auf dem Oktoberfest kennengelernt haben und seit Jahrzehnten zusammen sind. Andere haben sich dort getrennt, häufige Ursachen waren alkoholbedingte Übergriffe, Fremdknutscherei, Seitensprünge. Manche Münchner sehen die Wiesn auch als Zumutung – die Menschen werden in der U-Bahn zusammengequetscht, die Hotelpreise sind astronomisch.

Die Stadt und die Wirte bemühen sich um Ersatz – um eine über ganz München verteilte Form von dezentraler Wiesn. „Sommer in der Stadt“ lautet das Programm für die Betreiber von Fahrgeschäften. An verschiedenen Plätzen sind Karussells, Kettenflieger oder Wildwasserbahnen aufgebaut. Auf dem Olympiagelände etwa stehen ein sehr kleines Kinderkarussell und eine Autoscooter-Anlage, schießen kann man bei „Küblers Westernsalon“.

An einem Spätnachmittag unter der Woche ist das, man muss es so sagen, eine ziemlich traurige Angelegenheit. Nur ein paar Menschen haben sich hierhin verirrt. Auch das Willenborg-Riesenrad vom Oktoberfest ist hier aufgebaut. Selbst wenn nur eine Kabine besetzt ist, zieht es seine Kreise. An der Kasse sitzt die Verkäuferin Ilona Stey. „Sie sehen ja selbst, was hier los ist“, sagt sie etwas resigniert. Der Vergleich mit dem Oktoberfest schmerzt. „Aber am Wochenende kommen wieder mehr Leute.“

Auch die Gastronomen haben ein Alternativprogramm, die „Wiesn in den Wirtshäusern“ – unter Einhaltung der Corona-Vorschriften. Sie preisen Oktoberfest-Schmankerl an wie Hendl und Steckerlfisch, und auch Oktoberfestbier, das die sechs auf der Wiesn vertretenen Münchner Brauereien in diesem Jahr trotz allem produziert haben. Münchens Alt-OB Christian Ude (SPD) will in einer Gaststätte am Samstag um zwölf ein Bierfass anstechen. Das Park Café lädt ein zu „Wiesngaudi mit Wiesnmusik“. Wer eine Tracht trägt, erhält an manchen Orten eine Halbe Maß Bier gratis. Auch sonst wird der Preis günstiger sein als die 11,80 Euro, welche die Maß auf dem Oktoberfest 2019 gekostet hatte.

Corona-bedingt schaut die Politik eher skeptisch auf solche Aktivitäten. Es besteht die Angst, dass manche Münchner trotzdem eng und teils enthemmt feiern wollen, dass es „Wilde Wiesn“ gibt. Im negativsten Szenario der Politik steigen die Infektionszahlen in dieser Zeit massiv an – schon jetzt hat die 7-Tage-Inzidenz in München die Marke 50 überschritten. Auf jeden Fall muss die Theresienwiese trocken bleiben: Die Stadt hat ein Alkoholverbot von Samstag auf Sonntag verhängt, damit keine Oktoberfest-Fans am Originalschauplatz ihre eigene Wiesn ohne Wiesn veranstalten.

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