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Auftritt bei Beckmann Schlingensiefs wütendes Leben mit dem Krebs

Düsseldorf (RPO). Christoph Schlingensief hat in der Talkshow "Beckmann" über den Krebs in seinem Körper gesprochen. Es ist ein Abend, wie man in ihn im Mainstream des Quassel-TVs kaum noch kennt. Entwaffnend offen macht das ehemalige "enfant terrible" am Montag Abend im Fernsehen seine Verzweiflung zum öffentlichen Thema.

Schlingensief bei Beckmann
6 Bilder

Schlingensief bei Beckmann

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Schlingensief sieht erschöpft aus, ausgemergelt. Die Augen liegen in dunklen Höhlen. Das Gesicht ist dünn und kantig geworden, der Ausdruck ernst. Er spricht mit etwas belegter Stimme, und wenn er einatmet, vergisst man vor Schreck fast, was er gerade gesagt hat, weil es so mühsam klingt. "Eigentlich bin ich tot", hat er in sein Tagebuch geschrieben, das tapfere Auflehnen gegen die Krankheit ist er satt.

Bei Beckmann scherzt er darüber. Er sei durch die Operation, bei der ihm ein Lungenflügel entfernt werden musste, und die medizinischen Behandlungen, schlanker geworden: "Aber ich finde, das steht mir gut, und eigentlich habe ich auch wieder zugenommen - zweieinhalb Kilo."

Im Vorspann strahlt die ARD-Sendung ein paar Bilder von der Arbeit des Regisseurs. Im Theater, auf der Bühne inszeniert er seine Seelenqual, den Kampf gegen die Krankheit, den nahenden Tod. Er macht seinen Krebs mit Hilfe aller medialen Wege zur öffentlichen Angelegenheit. Theater, Interview, Fernseh-Auftritt und das Anfang der Woche erschienene Tagebuch "So schön wie hier kann‘s im Himmel gar nicht sein!" Das öffentliche Leiden provoziert. Das hat Schlingensief, der zwischen Kunst und (Privat-)Leben keinen Unterschied erkennen will, schon immer getan.

Leben, leben, leben

Auch mit dem "hier" im Titel seines Buchs meint Schlingensief das Leben. Und darum geht es auch bei "Beckmann". Der Regisseur erzählt dort von einem neuen Lebensrhythmus. "Es existiert eine ganz eigene Zeit. Es ist ein Vorteil der Krankheit, dass ich manchmal einfach sagen kann: Ich gehe jetzt nach Hause, ich bin müde", sagte er. "Ich kann jetzt einfach mal das Recht in Anspruch nehmen und sagen: 'Es reicht, ich gehe ins Bett, gute Nacht.' Das ist wunderbar!"

Manchmal wundert er sich, dass er, der als Nichtraucher völlig überraschend an Lungenkrebs erkrankte, vor lauter Selbstdarstellungstrieb niemals Ruhe fand. Erst jetzt, mit der neuen Perspektive, nicht mehr lange zu leben, ist das möglich. Er verspürt nicht mehr das Bedürfnis, auf allen Hochzeiten dabei sein zu müssen.

Noch 35 mal Weihnachten

Schlingensief sagte, Kraft habe ihm vor allem seine Verlobte gegeben. "Sie hat mir sehr extrem geholfen in dieser ganzen Zeit. Ohne sie wäre ich da nicht so durchgekommen." Sie wollen bald heiraten, gibt Schlingensief bekannt. Die gemeinsame Zeit, die sie nach der Hochzeit hätten, sei ein ganzes Leben für ihn - auch wenn es nur drei Stunden wären und er danach "abtreten" müsste. Allerdings blickt er positiv in die Zukunft: "Ich möchte noch 35 mal Weihnachten feiern. Das ist mein Ziel."

Im Januar 2008 klang Schlingensief noch wütender. Wenige Tage nach der Krebs-Diagnose sprach er das Chaos in seinem Kopf auf Band. Die Aufzeichnungen von damals liefern die Grundlage seines nun erschienenen Tagebuchs. Verstörung, Zerrissenheit, Aggression auf sich, alle anderen und die Welt kommen darin zum Ausdruck. "Heute Abend könnte ich wirklich mit einem Knüppel durch die Stadt laufen und alles kurz und klein schlagen. Ich bin so beleidigt, so dermaßen beleidigt und verletzt von diesem Ding", wütet er gegen die Krankheit.

Buchpräsentation ohne Schlingensief

Bei Beckmann findet er in Elke Heidenreich einen Menschen, der seine Empfindungen versteht. "Du bist mir so vertraut", sagt die Literaturkritikerin zu ihm. Sie sehen sich zum ersten Mal, haben sich jedoch in der vergangenen Monaten auf andere Weise kennengelernt: das Telefon. Der Regisseur hatte Heidenreich angerufen, als die Ärzte ihm ihre Diagnose bekanntgaben. Heidenreich verlor bereits als junge Frau einen Lungenflügel. Auch sie kennt den Kampf gegen den Krebs.

Bei der offiziellen Präsentation seines Buches am Dienstag, nur wenige Stunden nach dem Auftritt bei beckmann, fehlt Schlingensief. Wegen Krankheit, heißt es vom Verlag. Schlingensief habe in der Nacht einen Fieberschub bekommen, sagte Verleger Helge Malchow von Kiepenheuer & Witsch. Der Regisseur nehme derzeit als Ersatz für eine zweite Chemotherapie Medikamente, die gut anschlügen, jedoch mit Nebenwirkungen verbunden seien. Dazu gehörten auch Fieberschübe. Ungeachtet dessen habe der Regisseur derzeit jedoch einen "optimistischen Blick auf die weitere Entwicklung".

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