Intersexuelle klagt Michaela Raab will nicht mit "Frau Raab" angesprochen werden

Nürnberg · Die Intersexuelle Michaela Raab streitet vor Gericht gegen eine Klinik um Schmerzensgeld. Ihrer Ansicht nach wurde sie vor 20 Jahren von den Medizinern nicht richtig aufgeklärt und behandelt. Raab blickt zurück auf eine lange Leidensgeschichte.

 Äußerlich schien Michaela Raab eine Frau zu sein, mit ihren XY-Chromosomen ist Michaela Raab jedoch ein Mann.

Äußerlich schien Michaela Raab eine Frau zu sein, mit ihren XY-Chromosomen ist Michaela Raab jedoch ein Mann.

Foto: dpa, dka htf

Lange dachte Michaela Raab, dass sie eine Frau ist — wenn auch eine "komische". Sie habe sich nie als Mädchen gefühlt und nicht wie andere Mädchen verhalten. Erst als sie mit knapp 20 noch immer keine Periode bekam und keine Brüste hatte, ging sie zum Arzt. Was folgte, waren eine Hormontherapie und ein operativer Eingriff - beides unnötig, wie die 40-Jährige heute sagt. Denn krank sei sie nie gewesen.

Äußerlich schien Michaela Raab eine Frau zu sein, mit ihren XY-Chromosomen ist Michaela Raab jedoch ein Mann. Michaela Raab ist intersexuell, trägt also Merkmale beider Geschlechter in sich.

Ärzte klärten sie nicht ausreichend auf

Weil sie das aber lange nicht wusste, unterzog sich die 40-Jährige einer Operation und Hormontherapie. Jahrelanges Leiden folgte. Ärzte des Uni-Klinikums Erlangen hätten sie vor den Eingriffen nicht ausreichend aufgeklärt, sagt Raab. Daher hat sie die Klinik und einen Arzt auf Schmerzensgeld und Schadenersatz verklagt.

Sich selbst bezeichnet Raab als Zwitter. "Ich habe männliche Anlagen, die sich aber nicht ausreichend entwickelt haben. Und ich hatte eine Scheide", sagt die 40-Jährige aus dem mittelfränkischen Landkreis Roth. Aus Mangel an Alternativen - "im Biologieunterricht hat man sowas ja nicht gelernt" - sei sie davon ausgegangen, "dass ich eine komische Frau bin".

Dass sie die männlichen Chromosomen X und Y in sich trägt und nicht zweimal X wie eine Frau wusste Raab lange nicht. Sie erfuhr es erst Jahre später, als sie Einsicht in ihre Krankenakte nahm. Eine Frauenärztin habe zwar einen Gentest gemacht, ihr das Ergebnis aber nicht mitgeteilt, sagt Raab.

"Auch in Erlangen sagte man mir, dass was mit meinen Eierstöcken nicht stimmt und dass ich keine Kinder kriegen kann. Man hat mich in dem Glauben gelassen, dass die Entwicklung da nicht so richtig gelaufen ist." Ihr vergrößertes weibliches Geschlechtsorgan wurde operativ verkleinert und sie bekam Östrogene. Doch dadurch habe sie recht schnell zahlreiche gesundheitliche Probleme bekommen, die schnell immer schlimmer wurden - bis sie sogar ihren Job aufgeben musste. Raab litt unter Knochenschmerzen, Migräne, Sehstörungen und Depressionen. Heute ist sie voll erwerbsunfähig.

Warum wurde sie lange nichts aufgeklärt?

Im Alter von 34 Jahren stieß sie auf den Verein Intersexuelle Menschen, in dem sie inzwischen aktiv ist. "Da habe ich entdeckt, dass dort fast jeder ähnliche Probleme hat wie ich. Und dort hat man mich aufgeklärt, dass ich nie eine Frau war." Danach habe sie umgestellt von Östrogen auf das Hormon Testosteron. "Und seitdem kann ich zumindest wieder existieren", sagt Raab.

Doch warum klärten sie die Ärzte nicht auf? Professor Olaf Hiort, ärztlicher Gutachter von der Uni-Klinik Lübeck, betonte beim Prozessbeginn: Vor 20 Jahren seien Mediziner noch der Meinung gewesen, dass die Besprechung der Chromosomenanalyse einen zu großen Schock für die Patienten bedeuten würde.

Man habe gerade Erwachsene nicht verunsichern wollen, die schon lang mit einer bestimmten Geschlechtsidentität gelebt hatten. Die erste ärztliche Leitlinie zur Intersexualität gab es nach Angaben der Vorsitzenden Richterin erst im Jahr 2007. "Heutzutage gehört die Besprechung der Chromosomenanalyse zur Erklärung, warum wir so entstehen, wie wir entstehen."

Für den Gutachter bleibt es aber unverständlich, warum die Ärzte dies früher meist verschwiegen hätten. "Wir Ärzte müssen vielfach negative Dinge erzählen, das gehört zum Berufsstand." Ein Vertreter des Uni-Klinikums Erlangen sagte: Man habe damals wegen der psychosozialen Folgen für den Patienten nicht darüber gesprochen. "Das sollte man im Nachhinein nicht verurteilen."

Kosmetische Genitaloperationen findet oft in der Kindheit statt

Die "Zwangstranssexualisierung", der man auch Michaela Raab unterzogen habe, finde meist schon in der Kindheit statt, sagt Raab. Sie und der Verein Zwischengeschlecht fordern daher ein Verbot von kosmetischen Genitaloperationen an Kindern. Betroffene sollten später selber entscheiden können, ob sie eine Operation wollen oder nicht - und wenn ja, welche. Doch man kann sich leicht vorzustellen, dass Eltern betroffener Kinder in so einer Situation vor keiner leichten Entscheidung stehen.

Seit Ende 2013 muss das Geschlecht neugeborener Kinder in Deutschland auf Empfehlung des Deutschen Ethikrats zumindest nicht mehr schon kurz nach der Geburt festgelegt werden.

Intersexuelle fordern auch für Erwachsene eine dritte Kategorie neben Frau und Mann. "Aber die Rechtslage ist noch völlig ungeklärt", kritisiert Lucie Veith vom Bundesverband Intersexuelle Menschen. Wie viele Intersexuelle es in Deutschland gibt, ist unklar. Der Ethikrat geht von etwa 80.000 aus. Mit Transsexualität - dem Gefühl, im Körper des falschen Geschlechts zu leben - hat Intersexualität medizinisch nichts zu tun.

Vor Gericht will Raab 250.000 Euro Schadenersatz und Schmerzensgeld erstreiten, außerdem eine monatliche Rente von 1600 Euro. "Das war das, was ich zuletzt verdient habe. Ein durchschnittlicher Bürokaufmenschenlohn muss schon drin sein", sagt Raab.

Ähnlicher Prozess 2008

In einem ersten solchen Prozess in Köln hatte eine Krankenpflegerin 2008 einen juristischen Sieg gegen einen Chirurgen erzielt. Nach langem Leidensweg und unfreiwilligem Leben als Mann hatte sie den Arzt wegen einer 30 Jahre zurückliegenden Operation verklagt. Das Kölner Landgericht entschied, die folgenreiche OP sei ein rechtswidriger Eingriff gewesen. Der Mediziner habe seiner damals 18 Jahre alten Patientin die weiblichen inneren Geschlechtsorgane entfernt, ohne sie vorher umfassend aufgeklärt zu haben.

(dpa)
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