Historischer Einschnitt: Thyssenkrupp verkauft Stahlsparte
EILMELDUNG
Historischer Einschnitt: Thyssenkrupp verkauft Stahlsparte

Denkanstoß Und was ist mit mir?

Mönchengladbach · Für Regionaldekan Ulrich Clancett macht der Diesel-Gipfel deutlich, was passiert, wenn nicht getan wird, was zu tun ist. Dabei nehmen wir es doch selbst manchmal mit der Wahrheit nicht so genau.

Da wäre ich ja zu gerne dabei gewesen: Auf der einen Seite die, die vorgeben, sich an Recht und Gesetz zu halten, es aber nicht tun. Auf der anderen Seite die, die die von der einen Seite kontrollieren müssen, es aber genauso wenig tun, wie diese sich an Recht und Gesetz halten. Im Stammtisch-Jargon wird festgehalten: Die kannst du in einen Sack stecken und mit dem Knüppel draufhauen - du triffst immer den Richtigen. Dass die gefundenen Lösungen, leichte Selbstverständlichkeiten, als großer Erfolg verkauft wurden, mag dem Wahlkampf geschuldet sein - sie regen eher zu einem müden Lächeln an, als dass man sie wirklich einen Fortschritt nennen könnte...

Nein, ich möchte Sie als geneigtem Leser nicht mit der x-ten Analyse des sogenannten "Diesel-Gipfels" langweilen. Aber ich möchte mir schon die Frage erlauben: Was passiert da gerade in unserem Land? Was hat dazu geführt, dass wir nun vor einem riesigen Scherbenhaufen stehen?

Uns Deutschen wurde immer nachgesagt, wir seien der Ausbund an Korrektheit, Zuverlässigkeit und Präzision. Das Volk der "Dichter und Denker". Menschen also, die mit ihrem großen intellektuellen Potenzial die gesamte Menschheit immer wieder nach vorne gebracht haben. Kungelei - undenkbar. Gesetzesuntreue - undenkbar, mit dem alten Bild vom Preußen unvereinbar. Das waren Dinge, die siedelte man (zumindest noch in meiner Jugendzeit) in irgendwelchen südlichen Bananenrepubliken an - aber doch nicht bei uns in Deutschland! Nein, bei uns geht das immer geradeaus, nach Recht und Gesetz. Niemand hat sich darüber zu stellen. Und jetzt so etwas: Konzerne wie BMW, Daimler und Volkswagen, so typische Synonyme für deutsche Qualitäts- und Präzisionsarbeit wie der Tannenbaum für das Weihnachtsfest, kungeln offenbar, tun nicht das, was sie müssten, geben es aber dreist vor. Und die Politik? Sie tut ebenfalls nicht das, was sie tun müsste, gibt es aber genauso dreist vor. Wenn man da nicht von einem Kultur- und Sittenverfall sprechen kann... Was macht das aber mit mir? Da dürfen Fragen durchaus berechtigt gestellt werden: Tue ich das, was ich muss? Und - wenn nein: Gebe ich dann trotzdem dreist vor, es zu tun?

Passiert nicht? - Schauen Sie mal in den ganz normalen täglichen Wahnsinn: Die genehmigte Bauplanung etwa, in der so manches, was eigentlich gebaut werden soll, nicht erscheint. Oder die Steuererklärung: Wie viele Augen werden da immer noch zugemacht - auch im Zeitalter von Steuer-CDs? Oder die Flüchtlingswelle: Bearbeiten wir uns da nicht, gefesselt von einem kaum durchdringbaren Gesetzes- und Vorschriften-Dschungel, zu Tode, können unseren eigenen Ansprüchen nicht mehr gerecht werden?

In vielen Lebensbereichen scheint mir das zu einem Grundproblem geworden zu sein: Da werden Ziele formuliert und festgelegt - ohne realistisch darüber nachzudenken, wie sie denn zu erreichen sein könnten. Und dann wird unbarmherzig auf alles eingeprügelt, was der Erreichung dieser Ziele entgegensteht. Selten aber gelingt der Blick in den Spiegel: Habe ich denn das Meine dazu beigetragen, dass das Ziel gelingen, erreicht werden kann? Wie sehr habe ich mich auf andere verlassen - die vielleicht genauso überfordert sind wie ich selbst?

Jesus hat das in einen, wie ich finde, interessanten Satz gepackt: "Liebe deinen Nächsten - wie dich selbst." Den zweiten Teil des Satzes vergessen wir in unserer angeblich so leistungsorientierten Gesellschaft allzu leicht: "...wie dich selbst." Und weil wir uns das nicht zugestehen angesichts aller Interessen, die daran hängen, nehmen wir es da mit der Wahrheit nicht mehr so genau. Beim Diesel, der Baugenehmigung, der Steuererklärung, der Flüchtlingspolitik - und in den vielen anderen Lebensbereichen, in denen es genauso geht. Da täte etwas mehr Augenmaß gut.

DER AUTOR IST KATHOLISCHER PFARRER IN ST. JAKOBUS JÜCHEN UND REGIONALDEKAN.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort