Redaktionsgespräch Christian Malescov Lieber mehr Musik als Mathematik-Unterricht

Mönchengladbach · Der Leiter der städtischen Musikschule spricht über den Stellenwert, den Musikunterricht in der Gesellschaft beansprucht.

 Christian Malescov beim Redaktionsgespräch (links) und beim Dirigieren auf der Open-Air-Bühne der Sommermusik am Rheydter Schloss (rechts) mit dem Jugendsinfonie-Orchester der Musikschule und der Band Fun.

Christian Malescov beim Redaktionsgespräch (links) und beim Dirigieren auf der Open-Air-Bühne der Sommermusik am Rheydter Schloss (rechts) mit dem Jugendsinfonie-Orchester der Musikschule und der Band Fun.

Wie lange leiten Sie schon die städtische Musikschule?

Christian Malescov Seit 2004. Davor war ich stellvertretender Schulleiter, und als Lehrer für Violine habe ich bereits vor 29 Jahren angefangen.

Was hat sich eigentlich in den 29 Jahren an der Situation der städtischen Musikschule verändert?

Malescov Zunächst einmal war die Musikschule damals noch an der Kaiserstraße in einem mehrgeschossigen Reihenhaus untergebracht. Es gab sehr wenige Räume zum Unterrichten, und die Räume waren akustisch nicht isoliert. Vergleicht man die Unterrichtskonditionen mit den heutigen an der Lüpertzender Straße, dann liegen Welten dazwischen. Das soll aber nicht heißen, dass damals keine gute Arbeit geleistet wurde.

Hat sich denn in der Zeit auch etwas am pädagogischen Grundansatz der Musikschularbeit geändert? Früherziehung gab es 1984 doch noch nicht, oder?

Malescov Doch, sie wurde schon in den 1970er-Jahren an der Musikschule in Mönchengladbach eingeführt. Begonnen hat das Unterrichtsangebot mit der musikalischen Grundausbildung an den Grundschulen. Es kam sogar damals extra ein Team aus Japan angereist, um die musikalische Früherziehung filmisch zu dokumentieren.

Wie hat sich der Musikunterricht im Lauf der Zeit entwickelt? Gruppenstunden waren früher doch eher selten.

Malescov Die Musikschule ist damals auf zwei Säulen gestellt worden – was sehr gesund war. Zum einen gab es die musikalische Früherziehung (für Vorschulkinder) und zum anderen die musikalische Grundausbildung (für Grundschulkinder). Alle Schüler, die daraus hervorgingen, besuchten den Instrumentalunterricht, sprich Einzelunterricht. In der Hinsicht hat sich einiges geändert. Zu dem Einzelunterricht, den es in der Förderklasse immer noch gibt, wird heute verstärkt im variablen Unterricht in verschiedenen Gruppenstärken unterrichtet. Neue methodische Ansätze ermöglichen eine größere Gruppenstärke, wobei die Grundstruktur ähnlich geblieben ist. Die musikalische Früherziehung fand damals ausschließlich in der Musikschule statt. Das ist heute ganz anders. Wir arbeiten zu 95 Prozent dezentral, das heißt, dass wir die Früherziehung vor Ort in den Kindergärten und die Grundausbildung in Grundschulen beginnen.

Sie bieten aber auch Kurse für Eltern und ihre Säuglinge an . . .

Malescov Das ist richtig. Wir bieten seit einigen Jahren Eltern-Kind-Kurse für Mütter mit ihren Babys an, in denen sie Liedgut und Spiele mit den Kleinen erlernen. Das gab es früher überhaupt nicht.

Für Erwachsene gibt es aber keine Angebote an Ihrem Institut, oder?

Malescov Wir bieten auch Unterricht für Erwachsene. Allerdings werden zuerst Kinder berücksichtigt, bevor wir Erwachsenen einen Platz anbieten können.

Kommen wir auf die instrumentale Seite der Ausbildung zu sprechen. Gibt es eigentlich Modeinstrumente, die derzeit besonders gefragt sind?

Malescov Wenn Sie mich das vor vier bis fünf Jahren gefragt hätten, dann hätte ich Ihnen sofort das Saxofon nennen können. Heute wird von Streichern über Zupf- und Tasteninstrumente, Gesang bis hin zu Schlaginstrumenten alles angefragt. Es gibt auch nicht mehr das typische Frauen- oder Männerinstrument. Wenn Sie fragen, welches Instrument sofort angefangen werden kann, dann sind das Holzblasinstrumente – Querflöte, Fagott, Oboe, Klarinette.

Glauben Sie, dass Prominente wie Stargeiger David Garrett die Wahl des Musikinstruments beeinflussen?

Malescov Ich weiß, dass sehr viele Schüler der Musikschule bei seinem Konzert im Hockeypark dabei waren. Ob sich andere junge Leute nach diesem Ereignis für Geigenunterricht angemeldet haben, kann ich nicht beurteilen. Meistens ist es jedoch so, dass Schüler sich in der Elementarstufe, in der wir alle Instrumente einmal vorstellen, für eines entscheiden. Wer zu diesem Zeitpunkt sein Instrument noch nicht gefunden hat, bekommt beim "Instrumentenkarussell" die Möglichkeit, Instrumente auszuprobieren.

Muss Musizieren eigentlich immer Spaß machen?

Malescov Wenn man kontinuierliche Arbeit macht und das Ergebnis dann auf der Bühne sieht, dann macht Musizieren Spaß. Dass eine Geige am Anfang nicht immer schön klingt, ist auch klar. Ein Musikinstrument richtig spielen zu können, braucht seine Zeit. Und ich spreche da schon von einigen Jahren. Musik ist ein kontinuierlicher Prozess, den man erlernen muss. Nichtsdestotrotz hängt der Spaß am Musizieren auch mit dem Musiklehrenden zusammen.

Das müssen Sie erklären.

Malescov Lehrer, die begeistert bei der Sache sind, motivieren ihre Schüler ganz von alleine. Ein Kind merkt, wenn ein Lehrer Interesse an dem hat, was es mit dem Instrument macht. Lehrer sind ausschlaggebend für die Güte des Lernens.

Die Musikschule hat ja schon viele Talente hervorgebracht.

Malescov Ganz genau. Einige Leute, die jetzt in diversen professionellen Orchestern musizieren, haben in unserer Musikschule angefangen. Der Solotrompeter vom Gewandhausorchester in Leipzig war Schüler unserer Schule. Oder nehmen Sie den Frontmann von Booster, René Pütz, auch er hat seine musikalische Ausbildung bei uns begonnen. Ich sehe die Musikschule als Keimzelle für das, was musikalisch in der Stadt passiert.

Tragen die Politiker der Stadt das Institut wohlwollend mit oder erfahren Sie auch Gegenwind?

Malescov Die Politik geht mit uns sehr verantwortungsvoll um. Viele Politiker wissen, dass wir nicht nur Musik unterrichten, sondern eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe in dieser Stadt erfüllen. Wir mussten in den letzten Jahren aber auch unseren Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten. Der Haushaltssicherungsplan begleitet uns wie ein Schatten und wir loten alle Sparpotenziale aus. Davon beeinträchtigt sein soll weder die Breitenarbeit, die wir intensiviert haben, noch die Begabtenförderung. Denn wir arbeiten nach dem Prinzip "Das eine tun, ohne das andere zu lassen". Wir haben eine pädagogische und bildende Funktion inne – denn Menschen brauchen die Musik.

Welche Funktion hat Musik Ihrer Meinung nach in der Gesellschaft?

Malescov Diese Frage könnte Ihnen Gehirnforscher Manfred Spitzer am besten beantworten. Mittlerweile haben viele Psychologen erkannt, wie wichtig Musik für die Entfaltung eines Menschen ist. Merkwürdigerweise spiegelt sich das nicht in den Schulreformen wider. Was ich sagen will: Wir vernachlässigen in der allgemeinbildenden Schule einen Teil des Menschen.

Wie meinen Sie das?

Malescov Der Mensch ist ein Wesen, bei dem alles mitspielen muss. Ich meine damit, dass Kinder keine besseren Menschen werden, wenn sie 1000 Stunden Mathematik- oder Chemieunterricht bekommen. Ich glaube, dass wir ruhig ein, zwei naturwissenschaftliche Stunden durch Musik ersetzen können.

FRAGEN STELLTEN DIRK RICHERDT, SILVANA BRANGENBERG, SIMON JANSSEN.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort