Gregor Bonin Jetzt rufen wir Gladbachs Potenzial ab

Mönchengladbach · Der neue Baudezernent spricht über Wachstum an Qualität, kreative Köpfe in der Stadt, Fahrrad-Autobahnen nach Krefeld und sein skurrilstes Erlebnis in den ersten knapp 100 Tagen im Amt.

 Gregor Bonin ist seit wenigen Monaten Mönchengladbachs neuer Baudezernent.

Gregor Bonin ist seit wenigen Monaten Mönchengladbachs neuer Baudezernent.

Foto: Andreas Krebs (Archiv)

Egal, mit wem man gerade spricht: Alle sprechen vom großen Aufschwung Gladbachs. Woher kommt diese gute Stimmung?

Bonin Ich erlebe das auch so. Und zwar egal, ob ich zum Friseur gehe, mit Bekannten spreche oder mich mit potenziellen Investoren treffe. Alle haben das Gefühl: In Gladbach geht was. Es kommen gerade viele Faktoren günstig zusammen. Die Stadt hat ein klares Ziel, nämlich qualitativ und quantitativ zu wachsen. Das habe ich schon bei meiner offiziellen Vorstellung so benannt. Sie hat großes Veränderungspotenzial an markanten Punkten, weil spannende Flächen verfügbar sind. Sie hat eine stabile politische Mehrheit. Und sie hat den Vorteil der Nähe zu einer Metropole, deren Markt überhitzt ist.

Haben jetzt Investoren Gladbach auf dem Schirm, für die die Stadt vorher nicht interessant war?

Bonin Definitiv. Auf dem Schirm hatte mancher Gladbach schon länger, weil das Potenzial ja zu sehen war. Aber jetzt sind wir dabei, das Potenzial abzurufen. Auch dazu tragen viele Faktoren bei. Die Gründung des Stadtbetriebs ist beispielsweise ein solcher Mosaikstein. Das ist die richtige Entscheidung zur richtigen Zeit. Das Signal, dass die Stadt ihr Schicksal selbst in die Hand nimmt, eine Vision hat, kommt bei den Investoren an. Das zeigen viele Gespräche.

Sie sprechen von dem klaren Ziel der Stadt. Das kam fast so plötzlich wie die gute Stimmung. Plötzlich sehen alle Gladbach als wachsende Stadt.

Bonin Dieses Leitthema habe ich so formuliert, und ich freue mich sehr, dass es so schnell und von so vielen aufgenommen wird. Es gibt kaum noch eine politische Debatte, wo der Begriff nicht fällt. Wenn wir sagen, Gladbach will wachsen, meint das mehr als eine Ziffer. Es geht auch um Wachstum an Qualität. Es geht darum, sich zu trauen, groß zu denken und die Voraussetzungen für gute Lebens- und Arbeitsräume zu schaffen. Der Plan für die City Ost ist ein solches Beispiel. Und natürlich der Rahmenplan Abteiberg. Was für ein Potenzial!

Hat Gladbach das nötige Geld dafür?

Bonin Gladbach kann es sich nicht länger leisten, sein großes Potenzial ungenutzt zu lassen. Das ist die wahre Verschwendung von Ressourcen. Anspruch hat natürlich auch mit Mitteln zu tun. Viel mehr ist es aber eine Frage der Kreativität und der Umsetzungsstärke. Wissen Sie, was mein Lieblingsbeispiel der vergangenen Wochen ist? Die Gestaltung der Rückseite des Stadtkassenportals mit dem "irreal"-Schriftzug. Das ist lebendige Großstadt - und kostet fast nichts.

Warum kann Gladbach plötzlich so was?

Bonin Es gibt viele kreative Köpfe in der Stadt, auch in der Verwaltung und den Stadt-Töchtern. Ich habe den Eindruck, dass es bisher an dem gemeinsamen Ziel gefehlt hat, an dem Bewusstsein, dass alle an derselben Sache arbeiten: die Stadt zu gestalten. Wenn es uns gelingt, diese Kräfte, im Konzern Stadt, aber auch außerhalb, zu bündeln, in dieselbe Richtung zu lenken, dann werden wir alle in den kommenden Jahren viel Freude an der Entwicklung der Stadt haben.

Dann schauen wir mal im Detail, wie sich die Stadt entwickeln wird: Welchen Wohnraum brauchen wir?

Bonin Die wichtigste Aussage ist erst mal: Wenn wir wachsen wollen, brauchen wir attraktiven Wohnraum. Eine wachsende Stadt bietet attraktive Arbeitsplätze und die passenden Häuser und Wohnungen dazu. Wir müssen uns genau anschauen, wie der Bedarf ist. Sicher ist auch das Einfamilienhaus mit 600-Quadratmeter-Grundstück gefragt, wie es gerade an manchen Stellen in der Stadt geplant wird. Aber eben nicht nur. Es gibt Menschen, die ganz anders leben wollen. Auch für die brauchen wir Angebote. Das gilt genauso für die Flüchtlinge, die zu uns kommen und zu Bürgern der Stadt werden. Was haben sie für Bedürfnisse? Wie sieht ihr Alltag aus? Was haben sie für Erwartungen an ihr Wohnumfeld?

Bekommt Gladbach endlich einen Verkehrsentwicklungsplan?

Bonin Ja, aber wir nennen ihn Mobilitätsplan, weil genau das die Herausforderung ist: die verschiedenen Arten des Unterwegs-Seins in einer Stadt zu ermöglichen. Fußgänger, Radfahrer, Autofahrer müssen sich in der Stadt bewegen können. Ich träume von Radautobahnen. Warum soll ich nicht, wenn ich in Gladbach wohne und in Krefeld arbeite, mit dem Rad dorthin fahren können? Viele Verbindungen gibt es schon, zum Teil auf Wirtschaftswegen. Sie müssen nur miteinander verbunden werden. Wir müssen beim Mobilitätsplan die Entwicklung der Elektromobilität mitdenken. Denn sie wird voranschreiten und vieles verändern.

Wie kann die Stadt mit dem Pfund Abteiberg besser wuchern?

Bonin Das ist ein schönes Beispiel für Stadtplanung, die nicht teuer sein muss, und dafür, wie der Konzern Stadt gemeinsam am selben Ziel arbeitet. Wenn wir Grün am Abteiberg zurückschneiden und dafür sorgen, dass man das Münster von weit her sieht, ist das ein Stück Stadtplanung. Das reicht an der Stelle natürlich nicht - aber es setzt sofort etwas in Gang. Wenn ich von der Fliethstraße kommend auf das Münster blicke, habe ich sofort die Idee eines Stadteingangs. Nur dürfen dann am Geroweiher natürlich keine Autos stehen. Die müssen unter die Erde. Und oben brauche ich Grün, vielleicht Wasser. Oben ist es wichtig, für die Anbindung des Museums Abteiberg an die Hindenburgstraße zu sorgen. Die Kirche überlegt, den wunderbaren Brunnenhof zu öffnen. Dann habe ich den Kapuzinerplatz, wo eine offene Markthalle neues Flair geben könnte. Schon habe ich ein ganz anderes Viertel.

Braucht die Stadt ein zentrales Rathaus?

Bonin Wichtig ist, dass die 3000 Mitarbeiter der Verwaltung adäquate Arbeitsräume haben. Das gilt übrigens auch für die Politiker. Kreativität braucht einen Raum, der Kreativität zulässt. Der Rheydter Ratssaal erfüllt dieses Kriterium nicht. Wir haben Verwaltungsstandorte mit mittelalterlichem Raumzuschnitt. Es gibt einen immensen Sanierungsstau. Unter solchen Bedingungen sollte heute niemand mehr arbeiten müssen. Wir haben teilweise Immobilien, in die man Gäste kaum einladen mag. Wir brauchen an dieser Stelle mehr Qualität. Im Übrigen würden wir auch mit der Zentralisierung der Verwaltung Stadtplanung betreiben. Der Standort Rathaus Oberstadt ist als Übergang zwischen dem neuen Quartier am jetzigen Standort des Krankenhauses Maria Hilf und der Altstadt sehr wichtig. Da kann ich mir viel Schöneres vorstehen als ein nicht mehr zeitgemäßes Rathaus.

Hatten Sie eigentlich in Ihren ersten knapp 100 Tagen als Gladbacher Dezernent auch Anzeichen eines Kulturschocks?

Bonin Nein. Natürlich stehe ich unter Beobachtung. Da kommt einer aus Düsseldorf. Erfindet der jetzt das Rad neu? Bekommt der jetzt alles auf dem Silbertablett serviert? Stellt der sein Dezernat vom Kopf auf die Füße?

Und?

Bonin Ich erfinde das Rad nicht neu, sondern gebe nur ein klares Ziel vor und moderiere die Kreativität, die es in der Stadt gibt. Dazu brauche ich keine überbordenden Mittel. Und ich übertrage meinen Mitarbeitern Verantwortung. Sie dürfen und müssen entscheiden, sollen ihre Kreativität einsetzen - und wenn ihnen dann dabei auch mal ein Fehler unterläuft, ist das nicht schlimm.

Was war bisher ihr skurrilstes Erlebnis in Ihren fast 100 Tagen als Dezernent in Gladbach?

Bonin Festzustellen, dass am Freitagnachmittag das Rathaus abgeschlossen ist. Es ist nicht vorgesehen, dass da noch jemand arbeitet und Besuch empfängt.

RALF JÜNGERMANN FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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