Die letzten Tage des Zweiten Weltkriegs "Hitler ist kaputt. Bald wird es besser"

Krefeld · In den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs herrschte Chaos. Heinz Esser versuchte, als Soldat vor Berlin die Elbe zu überqueren, um die Alliierten zu erreichen. Auch 70 Jahre später erinnert sich der heute 90-Jährige an jede Sekunde.

Heinz Esser aus Krefeld haben die Ereignisse in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges bis heute nicht losgelassen.

Heinz Esser aus Krefeld haben die Ereignisse in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges bis heute nicht losgelassen.

Foto: Endermann

Noch im Oktober 1944 ist Heinz Esser davon überzeugt, dass der Krieg gewonnen werden muss. Sein Vater widerspricht. "Der Krieg ist verloren, mein Junge", sagt er, als sein Filius ihn in Krefeld besucht. "Das ging mir nicht mehr aus dem Kopf", erzählt Esser heute, "aber ich traute mich nicht, meinen Kameraden von meinen Zweifeln zu erzählen."

Wer sich gegen Kriegsende von der Truppe abzusetzen versucht, oder wer kundtut, nicht mehr an den Endsieg zu glauben, der landet vor einem Standgericht, endet mit einer Kugel im Kopf und einem Schild um den Hals. "Verräter" steht darauf geschrieben. Esser aber, damals 20 und Oberfähnrich der Marine, will überleben. So kämpft er, wie viele andere auch, fast bis zum Schluss, bis die Wehrmacht am 8. Mai 1945 kapituliert.

 Heinz Esser war im Zweiten Weltkrieg bei der Marine.

Heinz Esser war im Zweiten Weltkrieg bei der Marine.

Foto: Privat/Repro: Endermann

Während seiner Zeit als Soldat hat der Krefelder bis dahin eher Glück gehabt. Freiwillig ist er 1942 zur Marine gegangen und wird auf dem schweren Kreuzer "Prinz Eugen" stationiert, dann auf dem Flakschiff "Meduse". Heikle Situationen gibt es wenige. Im Januar 1945 aber wird Esser verlegt, erst auf die Insel Wollin bei Stettin, nahe der Ostfront, kurz darauf nach Oranienburg in den Norden der Hauptstadt. Mit 12.000 Soldaten soll er mithelfen bei der Abwehrschlacht von Berlin. Der 90-Jährige schüttelt bei dem Gedanken daran den Kopf. "Es war ein einziges, gigantisches Chaos."

"Von den Russen hieß es, dass sie keine Gefangenen machen"

Vor allem in den letzten Tagen des Dritten Reiches herrscht ein tragisches Durcheinander. Am 30. April hat Hitler Selbstmord begangen, zwei Tage später steht die Rote Armee in Berlin. Die Soldaten im Feld wissen von alldem nur Bruchstücke, Halbwahrheiten oder eben gar nichts. Sie wissen nur, wie Oberfähnrich Esser, dass ihre Sache wohl verloren ist, und versuchen, ihren Kopf aus der Schlinge zu ziehen. "Rette sich, wer kann", heißt es ab da für Esser. Sein Ziel ist es, zu Fuß mit mehreren Kameraden die etwa 20 Kilometer entfernte Elbe zu erreichen. "Auf der anderen Seite waren die Alliierten", sagt er. "Von den Russen hieß es, dass sie keine Gefangenen machen."

Nachts marschieren Esser und seine Leute, tagsüber verstecken sie sich. Als sie eine Drogerie plündern und ein noch linientreuer NSDAP-Ortsgruppenleiter sie aufhalten will, zieht Esser die Pistole. Später treffen sie auf einen anderen Trupp Soldaten, mit Panzern und Sturmgeschützen, der nach Hamburg durchbrechen will, schließen sich an. Esser fährt auf einem Geschütz mit, geschützt durch Stahlplatten, niemand spricht, plötzlich fallen Schüsse. Russische Soldaten feuern auf den Konvoi, Esser schafft es mit anderen zu flüchten. Von russischer Seite wird ihnen eine Botschaft überbracht: "Wer mit Waffen angetroffen wird, wird erschossen."

In der Nacht vom 7. auf den 8. Mai, dem Tag der deutschen Kapitulation, ist Esser mit seinen Begleitern noch drei Kilometer von der Elbe entfernt. Mit einem Fernglas sondiert er die Gegend, entdeckt russische Soldaten. Kurz darauf blickt der Oberfähnrich in die Mündungen russischer Gewehre. "Hitler ist kaputt", sagt der Offizier, der Esser gefangen nimmt. "Bald wird es besser." Aber bis es so weit ist, sollen weitere vier Jahre vergehen.

Im November 1949 ging es nach Hause

Von der Elbe aus geht es im Tross von 2000 Gefangenen zu Fuß bis Frankfurt an der Oder, von dort aus weiter nach Osten. Am Wegesrand halten verzweifelte Frauen Schilder hoch, auf denen Namen von Vermissten stehen. Esser landet in einem Lager mit 34.000 Gefangenen, die Aufseher bringen Pferde- und Kuhköpfe als Essensration. Geschlafen wird in Erdlöchern. Insgesamt ist Esser in 14 russischen Lagern inhaftiert, arbeitet zeitweise als Assistent eines Arztes. Die Ungewissheit, wann die Gefangenschaft ende, sei zermürbend gewesen, sagt der Krefelder. "Wann hört es auf?", lautet die entscheidende Frage.

Krefeld: Ende Zweiter Weltkrieg vor 70 Jahren
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Das Ende des Zweiten Weltkriegs in Krefeld

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Für Esser ist dieser Zeitpunkt am 6. November 1949 gekommen. Es reist nach Hause und darf endlich seiner Familie in die Arme fallen. Das Leben meint es danach gut mit Heinz Esser. Er wählt eine Laufbahn in der Textilbranche, gründet eine eigene Firma und eine Familie. Esser hat Erfolg. Vergessen kann er seine Zeit im Krieg und als Gefangener trotzdem nicht. Mit 18 ist Esser in die Wehrmacht eingetreten, mit 26 aus Russland zurückgekehrt. "Die schönste Zeit der Jugend ist mir genommen worden."

(RP)
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