RP-Serie Duisburger Geschichte und Geschichten Aufbruch in die Moderne: Es werde Licht

Duisburg · Die Zeit um 1900 war unserer ähnlich. Beschäftigt uns heute die Digitalisierung, war es damals die Elektrifizierung.

 Laternenbeleuchtung am Salvatorkirchhof um 1900. Foto: Stadtarchiv

Laternenbeleuchtung am Salvatorkirchhof um 1900. Foto: Stadtarchiv

Foto: Stadtarchiv

Vor 200 Jahren war Duisburg eine Stadt ohne Licht. Nur 34 Öllaternen beleuchteten in den dunklen Wintermonaten die Innenstadt. Es herrschte Finsternis. Nur der Mond oder Kerzenlicht spendete ein wenig Licht. Tag- und Nachtrhythmus waren dem Menschen vorgegeben. In Paris, London und Berlin war die Beleuchtung mit Gaslaternen längst Realität. Duisburg hinkte hinterher. Beschwerden über die Unbeständigkeit der Öllaternen führten zu der Forderung, sie durch Gaslaternen zu ersetzen. Das sollte dauern.

Duisburger Wirtschaftspioniere wie Böninger, vom Rath, Curtius oder Carstanjen nahmen das Heft in die Hand und gründeten 1854 eine private Gas-Gesellschaft. Die verpflichtete sich gegenüber der Stadt, Abnehmer mit Gas für „Beleuchtungs- und Kraftzwecke“ zu versorgen. Das Gaswerk am Kalkhof entstand auf dem heutigen Gelände der Grundschule an der Klosterstraße im Marienviertel. 1870 erfolgte der Umzug nach Hochfeld.

Das Verhältnis zwischen der Gas- und Erleuchtungs-Anstalt, der Stadt und den Bürgern trübte sich allerdings bald ein. Hohe Gaspreise und die Umweltbelastung sorgten bei den Bürgern für Unmut und Ärger. Die Stadt kaufte daher 1880 den elf Gesellschaftern die „Duisburger Gas-Erleuchtungsanstalt“ ab. Interessant liest sich die Begründung des damaligen Oberbürgermeister Karl Lehr: „Ohne Beleuchtung kann eine Stadt absolut nicht existieren (...) nichts ist gefährlicher, als wenn dieselbe etwa fremden, dem Interesse der Stadt fern stehenden Aktionären in die Hände fallen würde.“

 Rechnung der Gas-Erleuchtungs-Anstalt an die Stadt Duisburg vom 9. Mai 1868. Foto: Stadtarchiv

Rechnung der Gas-Erleuchtungs-Anstalt an die Stadt Duisburg vom 9. Mai 1868. Foto: Stadtarchiv

Foto: Stadtarchiv

Man setzte jetzt auf den Ausbau der Gasbeleuchtung in städtischer Regie. Von einer hell erleuchteten Stadt konnte allerdings nicht die Rede sein. Noch im Jahr 1884 erstellte die Verwaltung einen Beleuchtungsplan, der die Mondphasen berücksichtigte – bei Vollmond spendeten die Gaslaternen aus Kostengründen kein Licht. Der Gasabsatz entwickelte sich aus Sicht der Stadt zufriedenstellend, aber ein konkurrierender Energieträger erhöhte den Wettbewerbsdruck. Elektrizität fand dagegen immer mehr Befürworter. Die Drohung der Duisburger Unternehmer 1889 ein eigenes Elektrizitätswerk zu errichten, beschleunigte die städtischen Überlegungen, eine Stromerzeugung nur für den Hafen anzulegen. Doch die Bürger forderten eine Ausweitung der Elektrizitätsversorgung – der neue Energieträger wurde zum Fortschrittsmotor.

Am 15. September 1903 erfolgte die Inbetriebnahme des Elektrizitätswerkes an der Zirkelstraße. Strom konnte jetzt gezielt erzeugt, verteilt und für die Straßenbeleuchtung genutzt werden. Nach sechs Monaten waren 123 Kilometer Kabel verlegt und 201 private Abnehmer angeschlossen. Elektrische Energie für den privaten Eigenbedarf war zu Beginn ein reines Luxusgut und wurde als Statussymbol betrachtet. Der öffentliche Raum mit Stadttheater, Lichtspielhäusern und Reklamebildern erhellte alsbald die Innenstadt. Beleuchtete Werkhallen erlaubten der Industrie den Schichtbetrieb und befeuerten den ökonomischen Aufstieg der Stadt. 

 Allegorie „Das elektrische Licht" von Ludwig Kandler, 1883: Eine Barbusige reckt den Arm mit einer hellen Glühbirne in den sternfunkelnden Himmel und bringt die Elektrizität in die Moderne. Foto: Billerantik.de

Allegorie „Das elektrische Licht" von Ludwig Kandler, 1883: Eine Barbusige reckt den Arm mit einer hellen Glühbirne in den sternfunkelnden Himmel und bringt die Elektrizität in die Moderne. Foto: Billerantik.de

Foto: Billerantik.de

Der Optimismus der Ingenieure und Industriellen war grenzenlos. Dynamik, eine unbezähmbare Kraft, war eines der Schlüsselworte dieser Zeit. Gigantische Märkte sollten mit Hilfe der Elektrizität neu erschlossen werde. Die Geschwindigkeit der Umwälzung schuf gleichzeitig aber ein Klima, das von Unsicherheit geprägt war. Die Kehrseite der Dynamik war die Angst, vom allgemeinen Fortschritt abgehängt zu werden und Angst davor, was dieser Fortschritt noch bringen könnte. Der Historiker Philipp Blom sieht neben dem technischen Fortschritt rasante Veränderungen in Politik, Gesellschaft, Kunst und Alltagskultur. Der Strukturwandel, die wilhelminische und die „geistige Orientierungs- und Niveaulosigkeit“ waren Ausdrucksformen der Krise der Moderne. Man befürchtete den Verfall der Sitten, Verführung der Jugend und ein Anwachsen der Kriminalität. Besorgte Bürger hofften, dass das Licht die Dunkelheit und das Gesindel aus der Stadt vertreiben würde.

Heutzutage entzündet sich die Kritik an der Energieeffizienz, dem ungehemmten Energiekonsum und der Lichtverschmutzung. „Letztere stört den Biorhythmus und ganze Ökosysteme“, warnen Forscher. Andererseits verknüpfen viele Duisburger die nächtliche Beleuchtung mit einer prosperienden Großstadt und sehen den grün beleuchteten Stadtwerketurm als Landmarke. Ängste und Optimismus sind auch heute spürbar – nur in anderer Gestalt. Ersetzt man Elektrifizierung durch die Schüsselworte Digitalisierung und Künstliche Intelligenz erkennt man verblüffende Parallelen. Die Zeit um 1900 war unserer Gegenwart erstaunlich ähnlich.

Quelle: Jubiläumsbroschüre der Stadtwerke von 2004: 150 Jahre Energie und mehr

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort