Warum das Stillen einst verpönt war Vom Fremd-Stillen und Frauenmilch

Duisburg · Einst gaben Frauen, die nicht stillen konnten oder wollten, ihr Kind einer Amme. Der Beruf ist in Vergessenheit geraten. Frauenmilchbanken erleben eine Renaissance.

 Plakat „Mütter gebt von eurem Überfluß!“, 1926, Käthe Kollwitz, Bild mit freundlicher Genehmigung des Museums Köln.

Plakat „Mütter gebt von eurem Überfluß!“, 1926, Käthe Kollwitz, Bild mit freundlicher Genehmigung des Museums Köln.

Foto: Harald Küst

„Amme, sei unsere Türhüterin!“, heißt es in „Tausendundeine Nacht“. Eine Vertrauensstellung. Die Geschichte der Ammen lässt sich in allen Kulturen zurückverfolgen. Die römische Oberschicht hielt oftmals eine Haussklavin als Amme. Tacitus rühmte dagegen die Germaninnen, die ihren Nachwuchs selbst stillten. Bis Ende des 19. Jahrhunderts war das Ammenwesen an Fürstenhöfen und im wohlhabenden Bürgermilieu weit verbreitet.

Die Debatte um das Fremd-Stillen bot über Jahrhunderte Konfliktstoff. Amme oder keine Amme? Der einflussreiche niederrheinische Humanist Heresbach am Fürstenhof Jülich-Kleve-Berg lehnte das Fremd-Stillen ab. Nach der Geburt empfahl Konrad Heresbach, dass der junge Fürst von seiner Mutter gestillt werde. Die Muttermilch vermittle „die körperliche wie die geistige Ähnlichkeit zwischen Mutter und Kind.“ Zudem ist sie „gut temperiert (lauwarm), schmackhaft und bekömmlich, riecht angenehm, ist ansehnlich und schön weiß, gleichmäßig gut, in der richtigen Mitte zwischen flüssig und dick.“

Die eigene Brust zu geben, war an Fürstenhofen und später im Bürgertum aber eher verpönt. In diesen Schichten galt Stillen eher als lästig und nicht angemessen. Wer etwas auf sich hielt, suchte eine Amme, die das für ihn erledigte. Meist gelang es über private Kontakte und Empfehlungen eine junge Frau zu finden, die bereit war, ein weiteres Kind mitzustillen. August Bebel, Kopf der frühen Arbeiterbewegung, schrieb 1879 gar von Ammenzüchtereien, von Arbeiterfamilien, die ihre Töchter zur Schwangerschaft trieben, um sie als Amme zu vermitteln. Selbst per Stellenanzeige wurden gesunde Ammen gesucht. Wer es sich leisten konnte, bot einer Anne sogar ein Zimmer innerhalb des Hauses an und erweiterte ihr Aufgabenprofil um das der Kinderbetreung und Erziehung. Eine Anstellung als Amme bedeutete im Einzelfall einen sozialen Aufstieg in bessere Verhältnisse. Die Amme hatte in der Regel im Hausgesinde eine herausgehobene Stellung und wurde gut ernährt. Das körperliche und charakterliche Anforderungsprofil einer Premium-Amme war höchst anspruchsvoll. Beide gut gebauten Brüste sollten die Eigenschaften haben, die sie zum Säugen fähig machen. „Sie sollten gleichmäßig gebildet seyn, damit sie an beiden stillen kann“, so Carl Ferdinand Gräfe in seinem 1828 erschienenen medizinischem Wörterbuch. Da angeblich mit der Muttermilch Wesen und Eigenart an den Säugling weitergegeben werden, waren Sanftmut, Reinlichkeit, Ordnungsliebe wichtige Charaktereigenschaften einer Amme. Ein gewisse Helene Freifrau von Schroetter warnte allerdings um 1890: „Überwache, was die Amme genießt. Nicht selten trinken schlechte Ammen Schnaps, um dadurch für sich und den Säugling ruhige Nächte zu erzielen.“ Es gab gelegentlich gar Gerüchte, dass ein schreiendes Kind nicht sofort an die Brust genommen wurde, sondern als Ablenkung an einem mit Mohn gefülltetem Beutelchen lutschen durfte. Gut nachvollziehbar, dass zuverlässige und vertrauenswürdige Ammen hoch begehrt waren.

Es war bereits um die Jahrhundertwende bekannt, dass mit Frauenmilch ernährte Kinder bessere Überlebenschancen hatten als mit Kuhmilch ernährter Nachwuchs. Es entstanden um 1919 „Frauenmilchsammelstellen“, die sich an bedürftige Familien richteten und zur Senkung der Säuglingssterblichkeit wesentlich beitrugen. Die Milchbank löste das Ammenwesen ab. Im Jahr 1925 entwarf die Künstlerin Käthe Kollwitz das Plakat „Mütter, gebt von euerm Überfluss“. Mit der Zunahme von künstlicher Säuglingsnahrung ab den 1970er Jahren sanken allerdings die Stillraten, und Frauenmilchbanken wurden zum Auslaufmodell. Zurzeit erleben labormedizinisch kontrollierte „Muttermilchbanken“ in spezialisierten Kliniken eine Renaissance, berichtet die Ärztezeitung.

Die Immun-Abwehr wird gestärkt und der Schutz vor Infektionen im Blut, aber auch lokal im Darm wird insbesondere bei den „Frühchen“ verbessert. Die WHO empfiehlt bei der Ernährung Neugeborener als erste Wahl die Gabe von Muttermilch; dicht gefolgt von der Frauenmilch – vor künstlicher Säuglingsnahrung.

Zum Weiterlesen: Berufe aus vergangenen Zeiten, Michaela Vieser, 2012, Herzog Magazin, Guido von Büren, Mai 2014 und Ärztezeitung vom 22.09.2016

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