Sohn nach Polen gebracht Mutter leugnet Kindesentführung

Düsseldorf · Eine 44-Jährige hat ihren Sohn in ihr Heimatland Polen entführt. Inzwischen ist das Kind wieder beim Vater. Die Frau ist deswegen zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Dagegen klagt sie vor dem Düsseldorfer Landgericht.

Es war ein Tag im Oktober 2008, als ein damals neunjähriger Junge auf einer belebten Straße in Düsseldorf vor den Augen seiner Stiefmutter in einen Wagen gezerrt und entführt wurde. Die Täterin war die leibliche Mutter des Kindes, die ihren Sohn in ihr Heimatland Polen verschleppte. Monatelang hielt sie ihr Kind dort versteckt. Erst dann stellte sie sich den deutschen Behörden. Laut Gericht gestand sie damals die Entführung ihres Kindes. Dafür wurde sie zu 14 Monaten auf Bewährung verurteilt.

Seit gestern verhandelt das Düsseldorfer Landgericht den Fall neu. Denn die Frau hat Berufung gegen das Urteil eingelegt. Von ihrem damaligen Geständnis will die 44-Jährige nun nichts mehr wissen. Vor Gericht leugnet sie, vor vier Jahren ihren Sohn gegen seinen Willen in ein Auto gezerrt und mit Gewalt verschleppt zu haben. Stattdessen betrachtet sie sich nun als Opfer der deutschen Justiz.

Der Fall des kleinen Jungen aus Düsseldorf, der als einziger Sohn aus der 2002 geschiedenen Ehe eines Ministerialbeamten (45) mit der Angeklagten stammt, hatte vor vier Jahren zu diplomatischen Verwicklungen zwischen Polen und der Bundesrepublik geführt. In ihrer Heimat hatte die Angeklagte ihr verschlepptes Kind damals den Medien präsentiert und behauptet, der deutsche Staat wolle Kinder aus multinationalen Ehen zwangsweise "arisieren", Jugendämter und Gerichte würden auf Druck des Vaters jeglichen Mutter-Kontakt zum Sohn verhindern. Erst nach monatelangen Verhandlungen gelang es, den Neunjährigen damals doch wieder zurück zum Vater zu bringen. Im Gegenzug setzte die Mutter ihre Forderung durch, ihr Kind fortan regelmäßig besuchen zu dürfen.

Die Angeklagte gab gestern an, sie habe sich damals in "auswegloser Situation" gehandelt, habe sich "nicht anders zu helfen gewusst", als ihren Sohn in einem Auto nach Polen zu bringen.

In erster Instanz hatte das Amtsgericht damals folgenden Sachverhalt festgestellt: Die Frau sah im Oktober 2008 ihren Sohn zusammen mit dessen Stiefmutter auf der Straße. Sie stoppte daraufhin ihr Auto, riss das "laut schreiende Kind" in den Wagen, sprühte der Stiefmutter des Jungen Tränengas ins Gesicht und hielt sich danach bis März 2009 in Polen mit dem Jungen versteckt.

Rund 30 000 Euro musste der Vater aufwenden, um mit polnischen Anwälten und mehreren Reise nach Polen wieder Kontakt zu dem Jungen und dessen Mutter zu bekommen. Ein Drittel dieser Kosten sollte die Entführerin laut Amtsgerichtsurteil dem Vater ersetzen. Doch auch dagegen wehrt sie sich nun in der Berufung. Und ihre Anwältin bestritt gestern zudem, dass die Reise nach Polen "gegen den Willen" des Kindes geschehen sei. Ob der Junge dazu vom Landgericht als Zeuge vernommen werden muss, ist noch unklar. Der Prozess geht am 24. Januar weiter.

Jedes Jahr werden nach Auskunft der Kinderkommission des Deutschen Bundestages mehrere hundert Kinder aufgrund von Familienkonflikten von einem Elternteil eigenmächtig ins Ausland gebracht. "Die Dunkelziffer dürfte aber in die Tausende gehen", sagt Peter Thiel vom Opferverband "Kind-Vater". Genaue Zahlen solcher grenzüberschreitender Entführungen liegen der Polizei jedoch nicht vor. Das Bundeskriminalamt (BKA) weist in seiner Statistik aktuell zwar 663 vermisste Kinder in Deutschland aus. Darin enthalten sind allerdings sämtliche Entführungsfälle von Minderjährigen, die bundesweit strafrechtlich verfolgt werden.

Die meisten Eltern verzichten auf eine Anzeige bei der Polizei. "Denn ihnen wird vom anderen Elternteil meist angedroht: Zeigst du mich an, siehst du dein Kind nie wieder", berichtet Thiel. Sehr oft seien es die Mütter, die ihre Kinder nach einer gescheiterten Beziehung aus der Obhut ihres Vaters in ihr Heimatland entführten. "Wenn sie nicht das Sorgerecht erhalten, versuchen sie auf diesem Weg, ihr Kind zurückzubekommen", sagt Thiel.

Dass der entführte Junge aus Düsseldorf wieder zurück bei seinem Vater in Deutschland ist, sei eine Ausnahme, meint Thiel. "In der Regel hat man kaum eine Chance, sein ins Ausland verschlepptes Kind zurückzubekommen."

(RP/jco)
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