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Eva Schlotheuber "Das Kloster war wahnsinnig attraktiv"

Düsseldorf · Die Historikerin von der Heine-Uni hat in einem internationalen Forschungsprojekt Handschriften aus dem Mittelalter untersucht.

 Die Handschriften der Dominikanerinnen sind aufwändig verziert und einzigartig in der Forschung zum Mittelalter.

Die Handschriften der Dominikanerinnen sind aufwändig verziert und einzigartig in der Forschung zum Mittelalter.

Foto: Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Die Stadt Soest in Nordrhein-Westfalen ist außerhalb von Deutschland wenigen ein Begriff. Nun steht sie im Fokus internationaler Forschung. Der Grund: Bislang kaum bekannte, liturgische Handschriften des 13. und 14. Jahrhunderts aus dem Dominikanerinnenkloster "Paradies". Diese wurden von Eva Schlotheuber von der Heine-Universität Düsseldorf und Kollegen aus den USA und der Schweiz erforscht.

Worum geht es in Ihrer Studie?

Schlotheuber Es geht um eine einzigartige Quelle: Fünf liturgische Bücher, zwei Antiphonarien und drei Graduale, dazu einige Fragmente. Dass die Soester Nonnen im Mittelalter eine Handschrift für sich produziert haben, ist in der internationalen Überlieferung von Handschriften des Mittelalters singulär. Für ihren eigenen Gebrauch innerhalb des Klosters haben sie mehrere Handschriften hergestellt, die intellektuell hoch anspruchsvoll und wunderschön sind. Das hat ihr eigenes Leben auf ganz neue Füße gestellt.

Wie war das Leben zu der Zeit in anderen Klöstern?

Schlotheuber Manche konnten gar kein Latein, die Kirche verbot ihnen auch die Beteiligung am Leben. Aber hinter den Klostermauern haben sie einen wertvollen Beitrag zur Liturgie geleistet. Die Nonnen haben die Texte mit zahlreichen Kommentaren auf Latein versehen.

Wie kamen Sie an die Handschriften?

Schlotheuber Die Handschriften sind 1807 von Soest nach Düsseldorf gekommen - im Zuge der Französischen Revolution sowie der Auflösung der Klöster. Man braucht viel Wissen, um das anschließend zu entschlüsseln. Die Handschriften hatten eine abenteuerliche Geschichte und es hat von vielen Zufällen abgehangen, dass wir sie erhalten haben.

Wie muss man sich den Forschungsprozess vorstellen?

schlotheuber Wir haben interdisziplinär gearbeitet. Jeffrey Hamburger, Handschriftenspezialist aus Harvard, und Susan Marti aus Bern haben daran mitgearbeitet. Außerdem hat die Musikhistorikerin Margot Fassler herausgefunden, dass die Dominikanerinnen eigene Gesänge komponiert und gedichtet haben. Diese Gesänge sind auf der ganzen Welt einzigartig, es finden sich keine Parallelen.

Was sagt das über diese Zeit und die Rolle der Frau aus?

schlotheuber Das sagt sehr viel aus. Die Dominikanerinnen waren eine Alternative zum damaligen Eheleben für Frauen. Im Kloster wurde ihnen ein großer Entfaltungsraum geboten. Das war so wahnsinnig attraktiv im 13. Jahrhundert, dass binnen weniger Jahrzehnte alleine in Süddeutschland 65 Klöster gegründet wurden. Es war wie ein "Wake-up-Call", dass es auch anders geht.

Wie lange hat der Forschungsprozess gedauert?

schlotheuber Zehn Jahre. Aber es hat sich unglaublich gelohnt, es hat eine ganz neue Sichtweise auf die Dominikanerinnen ermöglicht. Die verschiedenen Handschriften zu lesen, zu verstehen und herauszufinden, wo sie herkommen - das dauert.

Welchen Stellenwert hat Ihre Forschung in der Wissenschaft?

schlotheuber Die höchstrangigen Wissenschaftler, die wir momentan auf diesen Gebieten haben, haben die Handschriften nach Düsseldorf gezogen. Besonders ist, dass wir über Kontinente ein gemeinsames Buch über die Forschung geschrieben haben. In unserer kurzlebigen Kunstlandschaft ist das eine Ausnahme und war eine wirkliche Bereicherung für mich. In den USA kommt das Thema Mittelalter sehr gut an und hat einen hohen Stellenwert.

Gibt es Verbindungen zur heutigen Zeit?

schlotheuber Das würde ich schon sagen. Unglaublich wichtig ist das selbstreflexive Element: Dass man sich darüber klar wird, dass nichts selbstverständlich ist. Alle Werte müssen immer wieder in einem sozialen Prozess errungen werden. An den Dominikanerinnen lässt sich erkennen, wie schwierig es ist, gesellschaftlichen Konsens herzustellen und verschiedene Lebensformen nebeneinander zu akzeptieren. Viele Männer waren gegen den Zusammenschluss der Frauen, die dadurch Stärke demonstrierten. Da gab es anfangs richtige Drohungen. Erfahrungen sind unsere großen Schätze, auf dem wir aufbauen können. Jeder Konsens, der mal funktioniert hat, ist ein Stein für die Zukunft.

Können sich Ihre Studenten in Zukunft auch einbringen?

schlotheuber Leider wurde die Kompetenz vormoderne Buchschrift zu lesen durch Bachelor- und Masterstudiengänge reduziert. So fehlt Studenten ein wichtiger Aspekt im Geschichtsstudium: Sie können nämlich nichts mehr entdecken. Sie können nur noch das lesen, was andere geschrieben haben. Man ist ausgeliefert, das ist frustrierend. Das möchten wir gerne den Studierenden wieder ermöglichen; in Düsseldorf machen wir das bereits mit Nachdruck. Sie sollen selbst etwas entdecken können, um eigenständig den Größen des Fachs entgegen treten und sie erforschen zu können.

(mba)
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