Düsseldorfer Schauspielhaus Buddenbrooks von heute

Düsseldorf · Mit John von Düffels Bearbeitung von Thomas Manns Roman-Stoff zeigt das Düsseldorfer Schauspielhaus die dichteste und spielstärkste Inszenierung der Saison. Am Ende gab es langanhaltenden Applaus und Bravorufe.

Die Schauspieler des Düsseldorfer Schauspielhauses
59 Bilder

Die Schauspieler des Düsseldorfer Schauspielhauses

59 Bilder
Foto: Schauspielhaus / Sebastian Hoppe

Düsseldorf Drei Stunden sind wie im Fluge vergangen, die letzten Worte hat der kleine Hanno Buddenbrook gesprochen: "Ich glaubte, es käme nichts mehr." Dazu hat er einen Doppelstrich in das große Familienbuch gezeichnet. Die Familie ist ausgelöscht, das Schauspiel vorbei. Stille. Das intensive Spiel verleitet die Zuschauer zum Weiterspinnen. Die Figuren bleiben seltsam lebendig, während sich die Mimen, die ihnen Leben einhauchten, auf der Bühne verbeugen. Sie erhalten sehr langen, aufrichtigen Applaus, Bravorufe auch.

John von Düffels "Buddenbrooks" nach dem Roman von Thomas Mann ist wohl das stärkste Stück Theater im Düsseldorfer Schauspielhaus dieser bald zu Ende gehenden Saison. Und das hat drei Gründe. Das Werk selber, das 2005 am Thalia-Theater uraufgeführt wurde, bedient sich einer Erzählung aus alter Zeit. Von Düffel (Jahrgang 1966) hat den mit dem Nobelpreis geehrten Jahrhundertroman für die Jetztzeit zurechtgeschnitten, Manns Original-Worte benutzt und den Text von 700 auf etwa 100 Seiten kondensiert. Sein waghalsig anmutendes Unterfangen ist aufgegangen. Er hat aus üppigen Handlungssträngen und komplexen Charakterstudien der großbürgerlichen Lübecker Kaufmannsfamilie den Kern von zwei Generationen erhalten, die das Scheitern an den eigenen Grundsätzen als unheilvolle Kettenreaktion vorführen.

Regisseur Michael Talke (Jahrgang 1965) hat von Düffels Text respektiert und doch eine eigene Bühnenversion mit neuem Auftakt und Schlussakkord erstellt. Er lässt in Bühnenlandschaften von Barbara Steiner spielen. Es gibt mehrere Ebenen und Podien, vor denen publikumsnah ein großer Monitor hängt: Von hier aus werden Worte zementiert, Botschaften dupliziert, Regieanweisungen ausgesprochen.

Darüber hinaus hat der Regisseur seine Schauspieler angeleitet, charakterscharfe Menschentypen mit minutiöser Körpersprache zu entwickeln. Die Buddenbrooks von heute sind nicht hanseatisch unterkühlt, sondern sie zeigen so viel Gefühl, wie man es hinter der eindringlichen Sprache ergänzen möchte.

Neben der Qualität des Stückes und der intelligenten Regiearbeit lebt die Inszenierung von der Schauspielkunst des famosen Ensembles. Es bietet Spielfreude pur, hochdramatische Ausbrüche, virtuosen Körpereinsatz. Im Mittelpunkt dieses Familiendramas stehen die drei Geschwister Tom, Christian und Tony. Jeder ist auf seine Weise verdammt, nicht wirklich beherzigend, was er leisten soll und nicht dem folgend, was er will oder gar fühlt. Heute nennt man das die Psychose der Selbstverwirklichung.

Die beiden mit ihren Lebensmodellen gegeneinander antretenden Brüder wie ihre Schwester sind Gefesselte der gutbürgerlichen Norm, dem Primat der Vermögensbildung und des Contenance-Bewahrens untergeordnet. Das Ensemble agiert auf einer abstrahierten Bühne. Es lebt nicht Leben vor, sondern man redet und stellt sich zu Posen auf wie auf einem Schachbrett des Lebens. Zug um Zug verlieren sie (sich) alle. Die Eltern sterben, die Tochter schlittert durch zwei verzweifelte Ehen, die Söhne kämpfen jeder um Anerkennung: Der unglücklich verheiratete Tom wird schließlich Senator, und Christian hypochondert durch sein verkorkstes Leben. Der Bruderkampf ist zentral.

Matthias Leja gibt den Tom mit vielschichtiger Seele, meist böse, verklemmt und hart. Der Dressurnummer mit seinem Söhnchen gehen eine ironische Selbstbespiegelung und eine innig verknäuelte Körperhaltung voraus - ein spielerisches Paradestück. Tief bewegend auch die Leistung des leichtlebigen Bruders Christian, den Markus Scheumann in allen Tönen zwischen Melancholie und Euphorie zeichnet. Kathleen Morgeneyer wächst als Schwester Tony in das ihr zugewiesene gesellschaftliche Korsett hinein.

Als Konsul agiert Michael Abendroth mit Ruhe und Souveränität; die Konsulin von Anke Hartwig ist wunderbar in ihrer Dissonanz zwischen unterdrückter Mütterlichkeit und frömmelnder Verzweiflung. Als Grünlich windet sich Wolfram Rupperti gekonnt in den Niederungen des Charakterschweins. Felix Radtke, Christof Seeger-Zurmühlen, Rainer Galke und die Cello spielende Johanna Krumstroh ergänzen das überzeugende Peronaltableau. Mit hochroten Wangen erfüllt der kleine Hanno (Luis Albers) seine Rolle nicht minder brillant.

Von Düffel hat die Buddenbrooks für die Bühne belebt; das Ensemble beschert einen unvergleichlichen Theaterabend, der große Gefühle spiegelt. So soll Theater sein.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort