Vergiftete Pausenbrote in Schloß Holte-Stukenbrock „So eine Horror-Meldung rauszuhauen, finde ich schäbig“

Bielefeld · Ein 56-jähriger Bielefelder steht im Verdacht, Pausenbrote von Kollegen mit Blei-Acetat vergiftet zu haben. Die Polizei prüft jetzt Krankenakten von verstorbenen Mitarbeitern der Firma. Der Anwalt des Verdächtigen erhebt indes schwere Vorwürfe gegen die Polizei.

 In Bielefeld sitzt ein Mann in U-Haft, der verdächtigt wird, zwei Kollegen mit Blei-Acetat vergiftet zu haben. Die Ermittler prüfen derzeit 21 mögliche weitere Opfer. (Symbol)

In Bielefeld sitzt ein Mann in U-Haft, der verdächtigt wird, zwei Kollegen mit Blei-Acetat vergiftet zu haben. Die Ermittler prüfen derzeit 21 mögliche weitere Opfer. (Symbol)

Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Die Ermittler arbeiten daran, Hinweise auf mögliche weitere Opfer von Klaus O. zu finden. Der 56-jährige Bielefelder sitzt seit Mai wegen versuchten Mordes in Untersuchungshaft. Er soll versucht haben, zwei Kollegen mit Blei-Acetat zu vergiften. Ein Mann soll nach Berichten der „Neuen Westfälischen“ seit zwei Jahren im Koma liegen, ein anderer soll Dialyse-Patient geworden sein.

Die 15-köpfige Mordkommission geht derzeit allen Todesfällen in der Firma nach, die es seit dem Jahr 2000 gegeben hat. Dabei werden 21 Fälle betrachtet, in denen Mitarbeiter vor Eintritt in den Ruhestand verstorben sind, teilte die Polizei am Mittwoch mit. Der Mann hatte bei der Firma Ali-Armaturen in Schloß Holte-Stukenbrock gearbeitet. Das Unternehmen ist nach eigenen Angaben ein mittelständischer Betrieb in Westfalen und verkauft weltweit Armaturen. Am Standort Holte-Stukenbrock arbeiten 750 Menschen. „Wir arbeiten in dem Fall eng mit der Polizei zusammen“, sagt Tilo Blechinger, Personalchef der Firma, auf Anfrage unserer Redaktion. Das Unternehmen habe der Polizei Todesfälle von Mitarbeitern gemeldet, die bis in das Jahr 2000 zurückreichen. Darunter seien aber auch Fälle, die nach dem ersten Anschein nicht mit einer Vergiftung in Verbindung zu bringen sind - wie etwa der Todesfall eines Außendienstmitarbeiters, der bei einem Autounfall ums Leben kam. „Ich bezweifle, dass von den 21 Verdachtsfällen am Ende einer übrig bleibt.“ Aber natürlich müsse man das genau überprüfen, sagt Blechinger.

Der Anwalt von Klaus O., Henning Jansen, ist empört über die Pressemitteilung der Polizei. Sie lege den Verdacht nahe, dass es sich um 21 potenzielle Mordfälle handle. „So eine Horror-Meldung rauszuhauen, finde ich schäbig. Die Polizei soll neutral ermitteln - es ist nicht ihre Aufgabe, einen vagen Ermittlungszwischenstand zu veröffentlichen“, sagt Jansen auf Anfrage unserer Redaktion. „Wenn am Ende herauskommt, dass es wirklich so ist, dann ist das so und dann kann die Polizei das auch veröffentlichen, aber es gibt wirklich berechtigte Zweifel, dass man von 21 Verdachtsfällen sprechen kann.“

Die Polizei erwartet am Donnerstag und Freitag keine neuen Erkenntnisse mehr zu der Frage, ob tatsächlich eine Vergiftung ursächlich für die Todesfälle sein könnte. Hinweise darauf, dass andere Personen aus dem Umfeld des Tatverdächtigen Opfer einer Vergiftung geworden sein könnten, gibt es nicht, sagt auch Kathryn Landwehrmeyer, Sprecherin der Bielefelder Polizei. Bislang gibt es auch keine Anhaltspunkte für das Motiv. „Der Tatverdächtige schweigt beharrlich“, sagt sie. Auch sein Anwalt macht keine näheren Angaben zur Person seines Mandanten oder zu den Tatvorwürfen.

Klaus O. lebt nach Informationen der „Neuen Westfälischen“ im Bielefelder Süden. Er soll Frau und zwei Kinder haben. „Er war fast 40 Jahre lang bei uns“, sagt sein ehemaliger Personalchef Blechinger. „1979 hat er bei uns eine Lehre zum Industriemechaniker angefangen.“ Nachbarn und Mitarbeiter beschreiben ihn als eher unauffälligen, schweigsamen und teils auch mürrischen Menschen.

Ermittler hatten bei einer Hausdurchsuchung mehrere giftige Chemikalien gefunden, darunter Blei-Acetat, Quecksilber und Cadmium. Wie O. an die Substanzen kam, ist bislang unklar. Die Ermittler prüfen alle Bestellungen und Geldbewegungen auf dessen Konten. „Wir wissen nicht, ob er auf handelsüblichen Wegen an die Stoffe kam - etwa mit Hilfe von Fieberthermometern, die Quecksilber enthalten“, sagte die Polizeisprecherin. Bei Ali-Armaturen arbeite man mit keiner der drei Substanzen, sagt Personalchef Blechinger.

Kamera im Pausenraum überführte Klaus O.

Überführt wurde O. mit Hilfe von Videoaufzeichnungen. Einer der Mitarbeiter hatte über gesundheitliche Beschwerden geklagt und im Mai festgestellt, dass auf seinem Pausenbrot ein komisches Pulver klebte. Daraufhin hatte sich der Mitarbeiter an die Unternehmensleitung und den Betriebsrat gewandt.

Nach Absprache mit der Polizei habe man den Pausenraum mit einer Kamera überwacht, um den Täter in die Falle zu locken. „Der Kollege kommt aus dem Ort und kam direkt in Arbeitskleidung zur Schicht, seinen Rucksack legt er immer in den Pausenraum und schließt ihn nicht in einen Spind“, sagt Blechinger. Die Kamera zeichnete auf, wie O. die Brotdose des Kollegen öffnete und eine Art Pulver auf das Pausenbrot streute. Damit konnte die Polizei den Tatverdächtigen schließlich identifizieren. Am 16. Mai wurde er festgenommen, bei ihm fand man eine kleine Flasche mit dem Pulver.

„Es ist ein komisches Gefühl zu wissen, dass ein Mitarbeiter, der fast 40 Jahre in der Firma war, Kollegen derart in Gefahr gebracht haben soll. Das verunsichert“, sagt Personalchef Blechinger. „Unsere Mitarbeiter kennen derzeit kein anderes Thema mehr.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort