"Junges Theater muss mobil werden"

Das Junge Schauspielhaus wird ab Herbst kein eigenes Ensemble mehr haben. Warum nicht?

Kantel Es wird ein Ensemble haben – ein riesiges! Für mich war es eine Bedingung dafür, aus Berlin nach Düsseldorf zu kommen, dass ich auf das gesamte Ensemble des Schauspielhauses zurückgreifen kann, statt nur mit fünf oder sieben Schauspielern zu arbeiten. Das ist eine Aufwertung der Kinder- und Jugendtheaterarbeit. Mit Staffan Valdemar Holm kommt ja ein Intendant ans Schauspielhaus, der aus einer Tradition stammt, in der es üblich ist, dass alle Schauspieler Kinder- und Jugendtheater spielen, auch die Stars. Ich habe also offene Türen eingerannt.

Hat es nicht Vorteile, mit Jugendtheater-Spezialisten zu arbeiten?

Kantel Es kann Vorteile haben bei der Spielplangestaltung, die Disposition ist einfacher. Natürlich braucht es auch ein gewisses Spezialistentum beim Kinder- und Jugendtheater, etwa um zu entscheiden, mit welchen Themen man sich beschäftigt. Dafür gibt es ja weiterhin eine eigenständige künstlerische Leitung mit eigener Dramaturgie. Und natürlich muss man ein paar Regeln beachten, wenn man für junges Publikum spielt. Wir denken aber, dass es so viele Mauern und Grenzen gibt in dieser Welt, dass es eine Aufgabe des Theaters sein muss, sich am Einreißen dieser Wälle zu beteiligen. Darum möchten wir, dass im Prinzip alle alles spielen. Viele Stoffe kann man so erzählen, dass sie Menschen ab einem gewissen Alter ansprechen, ohne die Skala nach oben hin begrenzen zu müssen. Außerdem kann das Kinder- und Jugendtheater dem Erwachsenentheater Impulse geben.

Welche zum Beispiel?

Kantel Die Reaktionen des Publikums sind im Kinder- und Jugendtheater deutlich direkter. Das zwingt Theatermacher dazu, häufiger und schneller Kunst auf Wirklichkeit treffen zu lassen.

Vor Kindern zu spielen, die auch mal laut sind, liegt aber wohl nicht jedem.

Kantel Wir möchten niemanden zwingen, vor Kindern und Jugendlichen zu spielen. Natürlich kann ich nur mit Schauspielern arbeiten, die Lust dazu haben – oder die Lust entwickeln. Das kann man fördern, indem man die Hierarchien zwischen Kinder- und Erwachsenentheater unterläuft. Ich glaube, es wird vielen gefallen, im Jungen Schauspielhaus zu spielen, ich bin da gar nicht ängstlich.

Wie wollen Sie denn künftig die Eigenständigkeit des Jungen Schauspielhauses demonstrieren?

Kantel Die Dramaturgin Katrin Michaels und ich machen einen eigenständigen Spielplan. Außerdem wollen wir mehr in die Stadt hinein wirken. Das Haus an der Münsterstraße liegt ja ein wenig wie ein Ufo in seiner Umgebung. Wir wollen versuchen, mehr im Stadtteil anzukommen, indem wir etwa das Foyer öffnen. Außerdem haben wir durch die Vergrößerung des Ensembles die Chance, partizipative Theaterformen zu probieren. Wir werden etwa Stadtprojekte oder Theaterrecherchen in und mit Düsseldorf machen. Es gibt immer noch viele Menschen, in deren Leben Theater keine Rolle spielt, die sich nicht dorthin wagen. Also muss Theater mobil werden und sich selbst zu diesen Menschen bewegen.

Wo könnte es Begegnungen geben?

Kantel Mit den Schulen ist das Theater ja schon gut vernetzt. Wir denken an Jugendzentren oder an Orte wie den Busbahnhof, das soll vom Thema abhängen. In Berlin haben wir etwa zu Brechts "Die heilige Johanna der Schlachthöfe" eine Heilsarmee gegründet, sind mit Künstlern in die Stadt ausgezogen, haben Suppe verteilt, Kontakte geknüpft und sind dann mit den Beteiligten ins Deutsche Theater zurückgekehrt und haben dort mit ihnen eine Produktion gemacht.

Was hat Ihr Vorgänger Stefan Fischer-Fels erreicht, an das Sie anknüpfen wollen?

Kantel Er hat hervorragendes und erfolgreiches Theater gemacht, natürlich will ich daran anknüpfen. Es wird weiterhin Theater für Kinder ab vier Jahren geben, für die Allerkleinsten wollen wir im ersten Jahr noch nicht arbeiten. Stattdessen werden wir einen Fokus auf partizipative Theaterformen legen.

Werden junge Zuschauer weiterhin ihre soziale Wirklichkeit auf der Bühne wiederfinden?

Kantel Das wird es weiterhin geben, vielleicht sogar in stärkerem Maße als bisher, weil sich Kinder- und Jugendtheater in meinen Augen genau dadurch auszeichnet. Die Frage ist nur, ob das immer in einem realistischen Setting geschehen muss. Kinder und Jugendliche sollen sich weiter als Protagonisten auf der Bühne begegnen und sich in den Geschichten wiederfinden, aber wir werden auch klassisches Repertoire zeigen. Auch "Romeo und Julia" kann man danach befragen, was es heute mit Jugendlichen zu tun hat. Und wir werden andere ästhetische Formen zeigen.

Welches Stück würden Sie nie für Kinder inszenieren?

Kantel Ich will kein liebloses Theater – mit Pappwand und drei Gästen, die nebenher für Kinder spielen. Ich halte es mit Gorki, der mal gesagt hat: "Für Kinder sollte man schreiben wie für Erwachsene – nur besser." Das gilt auch für das Theater.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort